Die Strafanstalt Schöngrün in Solothurn grenzt unmittelbar ans Wohnquartier. Die Anwohner beklagen sich aber nicht über ihre temporären Nachbarn in der Strafanstalt. Das grössere Problem seien die Insassen des Untersuchungsgefängnisses gleich daneben.
«Ich kann nur Positives über die Strafanstalt Schöngrün berichten, und wir wohnen seit 1972 hier.» Ernst Burkhardt hat gerade die Post aus seinem Briefkasten an der Orionstrasse (auf Biberister Gemeindegebiet) gefischt und hält kurz inne: «Sträflinge haben uns Holz fürs Cheminée geliefert oder bedienen uns im Hofladen der Anstalt. Nie habe ich etwas Negatives erlebt», betont Burkhardt. «Der Fuchs frisst ja auch nicht den Hasen, der neben seinem Bau wohnt», stellt er fest.
Auch Thomas Hofer vom Venusweg besucht ab und zu den Bio-Bauernhof im Schöngrün. «Mein Sohn hat Freude an den Tieren, aber uns beschäftigt mehr die Schulwegfrage », sagt der Staatsanwalt (in Basel). Die Kinder des Schöngrünquartiers müssen nämlich wohl bald nach Biberist in die Schule. «Mich beunruhigen solche Meldungen übers Schöngrün von Berufes wegen nicht», sagt Hofer.
Ähnlich tönt es ein paar Strassen weiter: «Kein Problem, nie, nie hatte ich Schwierigkeiten», sagt Lotti Steiner von der Marsstrasse. «Höchstens von meinen Freunden werde ich manchmal gehänselt, dass ich neben einem Knast wohne», lacht sie.
Gespräche von Zelle zu Zelle
Steiners wohnen nun seit 35 Jahren im Quartier: «Ich jogge an den Feldern vorbei, wo die Insassen arbeiten, gehe im Hof-Lädeli einkaufen und habe absolut kein Problem mit der Anstalt», sagt Steiner. Einen einzigen Störfaktor gibt es. Allerdings nicht mit der Anstalt Schöngrün, sondern mit dem danebenliegenden Untersuchungsgefängnis (UG): «Es gibt viele Angehörige von UG-Häftlingen, die von der Strasse aus Kontakt zu den Inhaftierten suchen », weiss Steiner. Davon seien aber eher Nachbarn im oberen Teil des Quartiers betroffen.
Zum Beispiel Kathleen Marrer von der Wassergasse. Sie hat direkte Sicht auf das UG und die Strafanstalt Schöngrün. «Mit der Strafanstalt habe ich kein Problem», sagt Marrer mit breitem amerikanischem Akzent. Der Liebe wegen hats die Amerikanerin nach Solothurn verschlagen. «Aber das UG», stöhnt Marrer: «Privatsphäre im Garten können wir vergessen.» Sie zählt auf: «Da stehen Leute auf dem Trottoir und sprechen in allen möglichen Sprachen mit ihren Angehörigen, ein Häftling singt stundenlang afrikanische Lieder in seiner Zelle, oder laute Gespräche unter Insassen finden von Zelle zu Zelle statt.»
Kompost als Versteck
Seit Marrer zudem durch die Medien erfahren habe, dass Häftlinge der Schöngrün-Aussenstation Bleichenberg einen Schlüssel besessen hatten, sei es ihr nicht mehr so wohl an der Wassergasse. Sie hätten schon vieles erlebt. «Vor ein paar Jahren beobachteten wir, wie ein Mann beim UG über den Zaun kletterte », sagt Marrer.
«Die Gefängnisleitung hat niemanden vermisst, als wir es meldeten.» Ihr Mann habe danach sichergestellt, dass alle Fenster und Türen ihres Hauses geschlossen waren. «Plötzlich bemerkte er, dass sich im Kompost-Korb etwas bewegte », erinnert sich Marrer. «Er schaute nach, und tatsächlich war da ein Fremder drin.» Es war der Ausgebüxte aus dem UG. «Er sagte, er sei verletzt, mein Mann wollte ihn ins Spital bringen, darauf rannte er davon.»
«Ich habe ein mulmiges Gefühl, seit ich weiss, wie frei sich die Straftäter vorher im Bleichenberg bewegen konnten.» Das sind die Worte einer jungen Mutter, die soeben ihren Sohn von der Spielgruppe Stadtzwerge an der Wassergasse abholt. «Erst durch die Medien habe ich realisiert, dass ich sehr nahe bei der Aussenstation wohne», sagt sie.
Als «gute Nachbarn» bezeichnet schliesslich Annelies Jörg, Wirtin vomGasthof Enge, die Strafanstalt Schöngrün. «Was darüber in der Zeitung stand, war am Stammtisch sicher ein Thema, das beschäftigte», bestätigt die Wirtin. «Wir pflegen aber guten Kontakt: Die Schöngrün- Angestellten sind oft bei uns zu Gast und wir sind Kunden der Gärtnerei.»