Schweiz
Die Schweiz - ein Paradies für «Oldis»

In der Schweiz fahren über 60000 Autos, die mehr als 30 Jahre alt sind. Einen höheren Anteil an Oldtimern gibt es nirgends auf der Welt.

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Ein Paradies für altes Blech
6 Bilder
Rolls-Royce
Chevrolet
Runde Formen und Kulleraugen - ein Bubentraum
Hispano Suiza
Alt aber renntauglich

Ein Paradies für altes Blech

Keystone

Peter Ruch

Jetzt fliegen sie wieder. Die vergangenen Wochenenden und das schöne Wetter haben sie wieder zuhauf aus den Garagen gelockt, die alten Autos. Zu Hunderten rollten sie mit ihren Besitzern über die Pässe, die bereits wieder offen sind, gondelten den Seen entlang, wurden, im Falle der eher sportlichen Varianten, über kurvige Landstrassen getrieben.

GP Mutschellen

Am nächsten Sonntag kommen die Freunde von «altem Blech» und die motorsportlichen Nostalgiker auf ihre Rechnung. Beim GP Mutschellen im Kanton Aargau werden mehr als 190 Oldtimer verschiedenster Epochen im Einsatz sein. Eine der Hauptattraktionen ist der Start von Töff-Legende Luigi Taveri. Der dreifache Motorrad-Weltmeister ist mittlerweile 80 Jahre alt. Aber nach wie vor mit dem Rennvirus infiziert. Taveri wird beim GP Mutschellen mit einer 250er Honda Baujahr 1962 am Start sein. «Ich gehe aber keine Risiken mehr ein», sagt Taveri. Vernünftig. Neben den Motorrädern und einer Präsentation von rund 150 Micro-Cars (unter anderem mit diversen BMW Isetta und Messerschmitt) gibt es Rennwagen aus allen Epochen zu sehen, zu hören und zu bestaunen. Die ältesten Fahrzeuge sind mehr als hundert Jahre alt. Weil auch in diesem Jahr wieder viele tausend Zuschauer in den Aargau pilgern werden, empfiehlt sich die Anreise mit der Bremgarten-Dietikon-Bahn (BDB). Ab Dietikon und ab Wohlen werden die Zuschauer im Halbstundentakt mit der BDB gratis nach Rudolfstetten gefahren. (mz)

Kein anderes Land der Welt verfügt über eine höhere Dichte an alten Fahrzeugen als die Schweiz. Über 60000 Veteranen, die mehr als 30 Jahre alt sind, haben hierzulande eine Strassenzulassung – in Deutschland, einem Land mit einer sehr hohen Auto-Affinität und längst nicht so strengen Regeln, was die Fahrtüchtigkeit betrifft, sind es 300000. Das bedeutet, dass die Anzahl pro Kopf in der Schweiz mindestens doppelt so hoch ist. Eigentlich erstaunlich, denn die Schweiz war im Gegensatz zu unseren nördlichen Nachbarn ja nie ein Land, in dem viele Autos gebaut wurden.

Urs Paul Ramseier, einer der profundesten Kenner der globalen Oldtimer-Szene, sieht aber gerade dies, dass die Schweiz in nur geringem Ausmass selber Auto produziert hat, als einen der Gründe dafür, dass die Schweiz eine derart vielfältige Veteranenlandschaft hat: «Die Produktion von Schweizer Fahrzeugen wurde mit der Schliessung der Martini-Werke 1934 eingestellt und fand 1939 mit der Montage Suisse und später des Montagewerkes in Schinznach eine neue «Form» der Schweizer Fahrzeugproduktion.

So finden wir hierzulande auch eine breite Palette von Fahrzeugen und Fahrzeugmarken, da wir im Gegensatz zum Beispiel zu Deutschland, England, Italien oder Frankreich keine bevorzugten heimischen Marken haben, die wir sammeln. Diese Autoproduktions-neutralität hat auch den Genfer Auto-Salon zu einem der beliebtesten innerhalb der Autoindustrie gedeihen lassen». Ramseier weiter: «Ein weiterer Grund ist sicher, dass die Schweiz in keinen der Weltkriege verwickelt war, dadurch konnte viel gute Substanz erhalten werden. Ausserdem sind wir Schweizer ja berühmt dafür, dass wir nichts wegwerfen. Wichtig erscheint mir zudem, dass sich die Freunde klassischer Automobile in der Schweiz schon früh organisiert haben.»

Unheimliche Ferrari-Dichte

Einige der schönsten Sammlung wirklich edler Stücke befinden sich in der Schweiz. Die Dichte an klassischen Ferrari etwa ist schon fast unheimlich, zwei der drei weltweit grossartigsten Kollektionen befinden sich im Berner Oberland. Die aussergewöhnlichste Ansammlung an seltenen und selten schönen Jaguar? Am Zürichsee. Der erste je gebaute Lamborghini? Im Aargau. Es gibt in der Schweiz wohl nichts, was es nicht gibt, schönste Bugatti, rare Isotta-Fraschini, wunderbare Delahaye, tolle Talbot-Lago, herrliche Voison.

Doch nicht nur Edelmetall wird in der Schweiz gehätschelt und gepflegt, auch profanere Marken wie BMW, Opel, Mazda, Mercedes haben jede Menge Liebhaber, es gibt Hunderte von Markenklubs, es vergeht zwischen April und November kein Wochenende, an dem nicht mindestens ein Dutzend organisierter Ausfahrten, Treffen, Ersatzteile-Märkte stattfinden. Es gibt auch ausgezeichnete öffentliche Sammlungen, das Verkehrshaus in Luzern, der «Autobau» in Romanshorn, der Pantheon in Basel.

Zudem ist die Schweiz ein Mekka für hervorragende Veranstaltungen mit und rund um alte Autos. Der alle zwei Jahre und am kommenden Sonntag stattfindende GP Mutschellen (siehe auch Box) ist nur eines der vielen Beispiele. Doch da gibt auch noch die «Classic Car» in Arosa (9. bis 12. September), die hohes internationales Ansehen geniesst (heuer im Rahmenprogramm: DJ Ötzi und Polo Hofer), den berühmten «Raid Suisse–
Paris» (26. bis 29. August), der heuer schon zum 20. Mal stattfindet, und vor allem das «Klausenrennen Memorial», das erst 2011 wieder stattfinden wird (22. bis 25. September), aber als eines der grossartigsten Oldtimer-Events der Welt gilt. 136 Kurven und 1237 Höhenmeter sind am Klausen von den Autos und Motorrädern aus der Vorkriegszeit zu bewältigen – eine grossartige Herausforderung für Mensch und Maschine.

Die grosse Nummer fehlt

Nur etwas fehlt im Schweizer Oldtimer-Angebot, und das ist eigentlich erstaunlich: ein Concours d’Elégance von Weltklasse. Es gibt zwar nette Markentreffen, und im Umfeld des GP Mutschellen findet in Wohlen eine spannende Ausstellung von 150 alten Klein- und Kleinstwagen statt, doch eine Veranstaltung von internationalem Ruf schafft die ansonsten so umtriebige Schweizer Oldtimer-Szene nicht.

Wobei, weit müssen die interessierten Schweizer ja nicht fahren, gleich ennet der Grenze zu Italien, in Villa d’Este am Comersee, findet jedes Jahr die zusammen mit Pebble Beach in Kalifornien wichtigste und grandioseste automobile Schönheitskonkurrenz der Welt statt. Die heurige Austragung, einmal mehr vom schon erwähnten Urs Paul Ramseier organsiert, ist allerdings schon Geschichte, aber Anfang Mai 2011 ist es dann wieder so weit.