Der 24-jährige R. nahm nach dem Tod des Vaters wieder Drogen und wurde straffällig. Laut Staatsanwältin zeigte er dabei sein zweites Gesicht. Für die Familie hingegen ist alles ein grosses Missverständnis. Klar ist nur: Das Familiendrama ging weiter.
Michael Spillmann
Die Anklagepunkte waren zahlreich, die meisten von ihnen unbestritten. Die Richter verurteilten R. nicht nur wegen des tödlichen Schusses aus der Walther PPK, sondern unter anderem auch wegen Hehlerei, mehrfachem Diebstahl, Widerhandlungen gegen das Waffengesetz und gegen das Strassenverkehrsgesetz. Die Staatsanwältin hatte zuvor klare Worte gefunden. Die «kriminelle Energie» von R. sei «nicht unerheblich», der erste Eindruck sei gut, doch er täusche. R. sei ein Mensch mit zwei Gesichtern. So habe er, wenn er dieses zweite Gesicht zeigte, mit Waffen posierend Selbstporträts gemacht oder seine Schwester im Streit «zu einem Duell» mit dem Messer herausgefordert.
Und diese kriminelle Seite des jungen Mannes habe sich schon drei Jahre vor dem verhängnisvollen Schuss gezeigt, als R. mit einer «Luger» hantiert und Schiessübungen veranstaltet habe. Doch was noch viel belastender schien: Eineinhalb Jahre nach der tragischen Nacht von Mägenwil besorgte sich der Informatiker, der sich nächtelang vor seinen Computern beschäftigen konnte, erneut eine Schusswaffe.
Zum Drogenrückfall war es bereits ein Jahr zuvor gekommen, im Frühling 2007. Einen Monat hatte der damals 20-Jährige zuvor für die Untersuchung der Schussabgabe in U-Haft gesessen. Die Untersuchungsbehörden gingen vorerst von einem Unfall aus und entliessen den jungen Mann unter Auflagen. In Haft war der junge Mann von den Drogen weggekommen - doch nur vorübergehend.
In seinem Zimmer im Keller, gefüllt mit Servern und Computern, begann R. wieder mit «Freebasen», er rauchte Kokain. Es sei wohl eine Flucht gewesen vor allem, was passiert war, ist die Mutter heute überzeugt. «Er wusste, dass er der Schuldige am Tod seines Vaters war und hatte deswegen Albträume», sagt sie. Mutter, Sohn und die jüngere Tochter fuhren gemeinsam in die Ferien nach Spanien. Doch es half nichts. «Er hat sich stets versucht zu erinnern, was sich an jenem Abend ereignet hatte», so die Witwe.
Im Haus in Effingen verschärfte sich die Situation. Es gab oft Streit zwischen Bruder und Schwester, vor allem wenn R. Drogen konsumiert hatte. «Geschwister streiten sich halt. Er war aber dabei nicht aggressiv», erinnert sich die heute 22-Jährige. Und die Mutter fügt an: «Er hat sich stets zurückgezogen.» Von zwei Gesichtern könne keine Rede sein, verteidigt sie den Sohn.
Im folgenden August fuhr R. eines Abends mit dem Auto seines toten Vaters davon: ohne Führerausweis und Kontrollschilder. Nach wenigen Metern stoppte ihn eine Polizeipatrouille. Er versuchte noch, zu Fuss vor den Polizisten zu flüchten. Es blieb nicht die einzige Spritztour: Im Frühling 2008 setzte er sich ohne Erlaubnis ins Auto einer Kollegin, die mit ihm Drogen konsumierte, und fuhr nach Basel und zurück.
In die Stadt am Rhein war er bereits im Spätsommer 2008 gezogen. Die Gründe dafür können heute nicht einmal mehr seine Mutter und die Schwester nachvollziehen. Doch in Basel sollte der Sohn endgültig abstürzen. «Seine Kollegin war schlecht für ihn», sagt die Mutter. Sie sei die treibende Kraft gewesen, als das Duo später in einem Restaurant eine Portemonaiie mitgehen liess.
Im März 2008 kehrte R. zurück nach Effingen - zu seiner Mutter und seiner Schwester. Doch noch immer sollte keine Ruhe ins Heim der Familie einkehren. Schuld waren wiederum die Drogengeschäfte des Sohnes. Denn der junge Mann hatte in Basel offenbar Schulden bei Drogenlieferanten gemacht. «Es waren wohl gegen 10000 Franken», mutmasst die Mutter.
Gemäss Anklage erwarb R. von einem Franzosen mit Namen «Laurent» für 900 Euro eine Waffe der Marke «Mars» - da er sich von Männern bedroht gefühlt hatte, die bei ih die Schulden eintreiben wollten. Eines Tages, es war schon später Abend, bemerkte die Mutter, wie der Sohn vor dem Haus mit zwei kräftigen Männern sprach. Mit der Waffe absolvierte er im Zeitraum zwischen April und Ende Juni 2008 in Effingen Schiessübungen. Dabei schoss er aus dem Haus in den Garten oder in Richtung Bauland. Zudem trug er die Pistole mehrfach auf sich, als er nach Frick oder Basel ging.
Anfang Juli 2008 kam es zum Eklat. Es sollte der Grund werden, warum R. in Haft kam und es bleiben sollte. Der Sohn hatte erneut Drogen konsumiert, hing mit seiner Kollegin im Haus in Effingen rum. Die Schwester beschwerte sich lautstark über das Gebaren des unerwünschten Gastes. «Die Kollegin war schlecht für ihn», blickt die Mutter heute zurück.» Als die Tochter den «Gast» als «Pack» bezeichnet, lief alles aus dem Ruder. R. holt sich ein Küchenmesser und geht auf seine eigene Schwester zu. «Ich geriet in Panik, bin weggerannt und habe mich im WC eingeschlossen», erinnert sie sich. Sie rief die Polizei zu Hilfe. Der Bruder stampfte aus dem Haus und ging gleich selber auf den Polizeiposten. Wo er sogleich bleiben musste. Später, als ihr Bruder in Haft sass.