Oberarzt
Der Wecker klingelt kurz nach 6

Der Arbeitsalltag eines Oberarztes im Zürcher Triemli-Spital erstreckt sich nicht selten über 12 Stunden.

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Adrian Schibli

Adrian Schibli

Limmattaler Zeitung

Alfred Borter

Der Wecker klingelt meistens kurz nach 6 Uhr. Eine gute halbe Stunde später steigt Adrian Schibli auf sein Velo und fährt zum Zürcher Stadtspital Triemli, wo er als Oberarzt in der Klinik für innere Medizin arbeitet. Damit hat er auch gleich sein tägliches Sportprogramm absolviert. Zwischen 7 und 7.30 Uhr nimmt er seine Arbeit auf.

Arbeitsgesetz gilt nicht für alle

Das eidgenössische Arbeitsgesetz schreibt eine Höchstarbeitszeit von 50 Stunden in der Woche vor. Die von einer privaten Trägerschaft geführten Spitäler unterstehen dem Arbeitsrecht, seit der Verselbstständigung des Universitätsspitals und des Kantonsspitals Winterthur gilt das auch für diese Krankenhäuser. Nun ist ein Zwist darüber ausgebrochen, wie die bisher angehäuften Überzeitguthaben der Oberärzte wettgemacht werden sollen. Der Verband der Schweizerischen Assistenz- und Oberärzte (VSAO), Sektion Zürich, ist der Meinung, diese sollten mit einem Überzeitzuschlag von 25 Prozent ausbezahlt werden. Ein Oberarzt mit 800 Überstunden für 2007 und 2008 käme so in den Genuss von rund 50 000 Franken. Das Universitätsspital will diesen Betrag aber mit dem Betrag verrechnen, den die Oberärzte in dieser Zeit für privatärztliche Tätigkeit zusätzlich zum normalen Gehalt bekommen haben - auch das wären 50 000 Franken. Der VSAO findet diese Idee aber nur «vermeintlich schlau», wie Verbandspräsident Rudolf M. Reck sagt; den betroffenen Oberärzten wird geraten, dagegen Klage zu erheben. Mehr als ein Dutzend Oberärztinnen und Oberärzte sind dem Aufruf inzwischen laut VSAO-Mitteilung gefolgt. Aber wie sieht eigentlich ein Arbeitstag eines Oberarztes aus? Wir fragten Adrian Schibli. Da er im Stadtspital Triemli tätig ist, ist er in den Streit nicht direkt verwickelt. Die beiden Zürcher Stadtspitäler sind nicht dem Arbeitsgesetz unterstellt, ebenso wenig das Spital Limmattal, das Spital Bülach, das Kreisspital Männedorf oder das Spital Uster mit ihrer (über-)kommunalen Trägerschaft. (abr.)

Er macht sich ein Bild darüber, was sich auf seiner Abteilung, auf der 25 bis 30 Patientinnen und Patienten versorgt werden, in der letzten Nacht ereignet hat. Vor allem befasst er sich mit den neu hinzugekommenen Fällen - ein Grossteil der Patienten kommt notfallmässig ins Spital, zum Beispiel wegen einer Lungenentzündung.

Um 8 Uhr ist die Zeit gekommen, mit den Stationsleiterinnen, welche die pflegerische Betreuung auf der Abteilung organisieren, die Ein- und Austritte des Tages sowie die aktuellen Probleme zu besprechen. Anschliessend ist einmal wöchentlich Zeit für die Demonstration einer Autopsie von verstorbenen Patienten durch die Pathologen; das ist ein Teil der Fortbildung. Ebenfalls einmal wöchentlich werden gemeinsam Artikel aus Fachzeitschriften besprochen und eine internistische Fortbildung mit den zuweisenden Hausärzten durchgeführt.

Zusammen mit dem Assistenzarzt oder der Assistenz-ärztin, die jeweils etwa zehn Patienten betreuen, bespricht der Oberarzt danach die weitere Behandlung der Patienten: ob zusätzliche Laboruntersuchungen nötig sind, ob die Dosis der Medikamente verändert werden muss und Ähnliches; dazu schaut er sich die Röntgenbilder an.

Um 10.15 Uhr findet die tägliche Visite am Patientenbett statt. Jeweils ein Drittel der Patienten wird vom Oberarzt speziell angeschaut. Die Visite dauert rund anderthalb Stunden.

Nach 12 Uhr ist das Mittagessen angesagt. Die Assistenz- und Oberärzte sitzen dann meistens zusammen. Wenn einen ein Problem aus dem Spitalleben beschäftigt, wird natürlich dieses besprochen, aber man kann auch über Gott und die Welt reden. Die Mittagszeit dauert in der Regel eine halbe oder eine dreiviertel Stunde.

Am Nachmittag folgt die Besprechung mit den anderen Abteilungsärzten, damit man über den Zustand sämtlicher Patienten der Abteilung im Bild ist. Dann geht Schibli zusammen mit den Assistenzärzten zu den neu eingetretenen Patienten, die er noch nicht gesehen hat, um persönlich mit ihnen zu reden und sie zu untersuchen. So kann direkt am Patientenbett das weitere Behandlungskonzept besprochen werden. Man hat ja einen Menschen vor sich und nicht einfach ein krankes Organ. Sehr oft wird allerdings die Arbeit auch von Telefonanrufen unterbrochen.

Um 17 Uhr ist Röntgenrapport, an dem durch einen Radiologen die Röntgenuntersuchungen des Tages präsentiert werden. Dann fallen administrative Aufgaben an, etwa das Korrigieren von Austrittsberichten, die den Patienten, welche das Spital verlassen können, mitgegeben werden. Ausserdem hat jeder Oberarzt noch Spezialaufgaben zu erfüllen, etwa Kurse für Studenten organisieren, den Internetauftritt à jour halten, Diabetesberatung durchführen; für Schibli gehört die Tätigkeit im Vorstand des Verbands der Assistenz- und Oberärzte zu diesen Spezialengagements.

Um 19 Uhr oder auch etwas später ist dann Feierabend; es folgt der erneut per Velo zurückgelegte Weg zu seiner Frau. «Die Arbeit ist streng», sagt Schibli, «aber auch sehr befriedigend». Die innere Medizin sei ein spannendes und vor allem auch weites Gebiet, Lungen, Herz, der Magen-Darm-Trakt, vieles gehört dazu; auch die spannenden Geschichten, die fast jeder Patient aus seinem Leben zu erzählen weiss.

Die Arbeit am Triemli ist nach Schiblis Worten gut organisiert; vor allem der Nachtdienst ist gut geregelt, es kommt nicht mehr vor, dass man 24 Stunden aneinander Dienst leisten muss. Und die sehr intensive und anstrengende Arbeitszeit an Feiertagen und Wochenenden sowie bei Nachtdiensten, wo man für alle intern-medizinischen Patienten der Bettenstationen und der Notfallstation verantwortlich ist, kann kompensiert werden.

Überzeit kann man mit Freizeit kompensieren. Allerdings gilt als Überzeit bloss, wenn man mehr als 65 Wochenstunden arbeitet. Das Stadtspital Triemli ist - anders als das Universitätsspital Zürich - nicht verselbstständigt worden und untersteht damit dem Arbeitsrecht nicht.

Die Arbeitszeit ist für Schibli nur ein Kriterium, mindestens so wichtig sind ihm die Teamkonstellation, die kollegiale Atmosphäre und letztlich auch die medizinische Tätigkeit, die von Leitenden Ärzten und Chefärzten vorgelebt wird. Einen Ausgleich zur beruflichen Tätigkeit findet er zum Beispiel in klassischen Konzerten, die er zusammen mit seiner Frau besucht, beim Bergwandern oder beim Zusammensein mit Freunden.