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75 Jahre lang lagen eine Frau und ein Mann im Eis begraben. Nun gab der Gletscher bei Les Diablerets VD die beiden frei. Und ihre tragische Geschichte. Die Walliser Polizei bestätigt die Version einer 79-jährigen Frau.
Einmal von einer Spalte verschluckt, behalten die Gletscher ihre eiskalten Geheimnisse. Doch wegen der steigenden Temperaturen nicht mehr für immer. Im Kanton Wallis bei Les Diablerets hat der Tsanfleuron-Gletscher zwei Menschen frei gegeben.
Gefunden wurden sie letzte Woche von einem Pistenbully-Fahrer. Die Walliser Kantonspolizei brachte die beiden Leichen ins Institut für Rechtsmedizin in Lausanne. Bereits da war klar: Es waren eine Frau und ein Mann aus der Kriegszeit, die auf dem Gletscher starben. Denn ihre Kleidung mit den genagelten Schuhen war für diese Zeit typisch.
Die beiden leblosen Körper, die vergangene Woche auf dem Tsanfleuron-Gletscher gefunden wurden, sind formell identifiziert worden. Es handelt sich um die seit dem 15. August 1942 vermissten Marcelin und Francine Dumoulin.
"Die zwei vermissten Personen konnten durch die DNA-Analysen der Gerichtsmedizin identifiziert werden", teilte die Walliser Kantonspolizei am Mittwoch mit. Aufgrund der gefundenen Ausrüstungsgegenstände seien die beiden Personen wahrscheinlich Opfer eines Bergunfalls vor mehreren Jahrzehnten geworden.
Bei den vom Gletscher frei gegebenen Leichen der verstorbenen Personen wurden auch persönlichen Gegenstände wie ein Rucksack, eine Uhr und ein Buch gefunden. Die Walliser Kantonspolizei führt eine Liste der Personen, die seit 1925 in den Bergen oder in Gewässern als vermisst gelten.
Eine Tochter des nun formell identifizierten Ehepaars, Marceline Udry-Dumoulin, hatte bereits am Dienstag gegenüber der Westschweizer Zeitung "Le Matin" angegeben, dass es sich um ihre Eltern handle. Ihren Schilderungen zufolge wollte das Ehepaar vom Wallis aus in den Kanton Bern wandern, um die dortige Alp zu bewirtschaften (wst/sda)
Doch bevor die Resultate der Rechtsmedizin vorliegen, ist sich eine Walliserin sicher, wer da gefunden wurde: ihre Eltern. Zu gut passt der Fund zu dem, was die inzwischen 79-jährige Frau über den Tod ihrer Eltern weiss. Die welsche Zeitung «Le Matin» erzählte am Dienstag ihre bewegende Geschichte.
«Das sind meine Eltern»: Marceline Udry-Dumoulin im Beitrag von «Schweiz aktuell»:
Marceline Udry-Dumoulin wurde mit vier Jahren Waise, zusammen mit ihrer Schwester und fünf Brüdern. Ihre Eltern machten sich am 15. August 1942 von ihrem Dorf Chandolin im Wallis auf den Weg zu einer Berner Alp, wo sie ihr Vieh füttern und noch am selben Tag zurückkehren wollten.
Der Vater war Schuster, die Mutter Lehrerin, doch sie hielten wie die meisten Leute damals Vieh. «Es war das erste Mal, dass meine Mutter den Vater begleitete, denn in den Sommern davor war sie immer schwanger gewesen», erzählt Marceline Udry-Dumoulin.
Die Frau ist sichtlich bewegt. «Wir haben immer nach ihnen gesucht», sagt sie, «aber wir haben nicht mehr geglaubt, ihnen eines Tages die letzte Ehre zu erweisen, wie sie das verdient haben. Nach 75 Jahren des Wartens hat mich diese Nachricht sehr erleichtert.» Ihre Eltern kehrten von dieser Wanderung über den Gletscher zur Alp nie zurück.
Im Dorf suchte man bis in den Herbst erfolglos nach ihnen in verschiedenen Gletscherspalten. Die Tochter erinnert sich nur noch daran, wie ihre Tante auf der Treppe des Hauses weinte und das Mädchen in die Arme nahm. Wenig später wurden die sieben Geschwister getrennt und auf verschiedene Familien verteilt. «Ich hatte Glück und konnte bei der Tante bleiben», sagt Marceline Udry-Dumoulin.
Die Geschwister und sie seien sich durch die Distanz fremd geworden, obwohl alle in der Region wohnten. Bis ein Bruder, ein Priester, 1957 eine Gedenk-Messe auf dem Gletscher organisierte. «Das war ein grosser Moment der Wiedervereinigung für uns», sagt die Tochter. Sie selber stieg dreimal auf den Gletscher, in der Hoffnung, die Eltern zu finden. Doch erst jetzt zeigte sich das Eis gnädig.
Marceline trägt den weiblichen Vornamen ihres Vaters Marcelin und wohnt noch in ihrem Geburtsdorf. Nun kann sie sich endlich richtig von beiden verabschieden. Sie sagt: «Zur Beerdigung werde ich nicht schwarz tragen. Ich denke, weiss wird passender sein. Das steht für die Hoffnung, die ich nie verloren habe.»