Nach der Debatte darüber, was ein echter Romand ist, kommt die Sprachdebatte: Kann ein Kandidat ohne gute Kenntnisse einer zweiten Landessprache Bundesrat werden? Ja – dies zeigt die Erfahrung.
Karen Schärer
Pascal Broulis kann vieles. Deshalb gilt der Waadtländer Regierungspräsident als Politstar. Und deshalb haben andere mögliche FDP-Bundesratskandidaten zugunsten von ihm ihren Verzicht auf eine Kandidatur bekannt gegeben. Sobald Pascal Broulis diese Woche aus den Ferien zurück ist, dürfte er seine Kandidatur bekannt geben. Doch gemäss «Sonntag» kann Broulis eines nicht: Deutsch. Broulis «könnte erster Bundesrat ohne echte Deutschkenntnisse sein», schreibt die Zeitung und fragt: «Geht das?»
Die Erfahrung zeigt: Es geht. Broulis wäre nicht der erste Bundesrat, der sprachliche Defizite erst im Amt aufholt. Aktuelles Beispiel: Eveline Widmer-Schlumpf. Sprachliche Defizite waren im Vorfeld ihrer Wahl kein Thema. Als Überraschungskandidatin musste die Bündnerin nicht zu Hearings bei den anderen Fraktionen antreten, bei denen Fragen auch auf Französisch oder Italienisch gestellt werden. Nach der Wahl zeigte sich dann, dass ihr die französische Sprache Mühe bereitet: Sie sprach auch mit welschen Journalisten Deutsch. Doch nicht nur Widmer-Schlumpf, sondern auch Ueli Maurer, Ruth Metzler und Christoph Blocher haben ihre Sprachkenntnisse im Amt aufgefrischt. Letzterer besuchte gar im Sommer 2005 im Raum Genf einen zweiwöchigen Sprachkurs.
Eine Westschweizer Journalistin, die aus dem Bundeshaus berichtet, vermutet aufgrund der aktuellen Debatte um Pascal Broulis, dass bei welschen und Deutschschweizer Kandidaten unterschiedliche Kriterien gelten: «Ein Romand muss Deutsch können, wenn er gewählt wird. Deutschschweizer können es später lernen.»
Von Bundesräten wird erwartet, dass sie eine andere Landessprache verstehen. Bei Regierungsmitgliedern aus der lateinischen Schweiz akzeptiere man, dass sie auf Deutsch gestellte Fragen in ihrer Muttersprache beantworten, sagt ein Insider, der während Jahren intime Einblicke in die Landesregierung hatte. Bei Deutschschweizern hingegen erwarte man, dass sie französisch antworteten, wenn sie von welschen Journalisten Fragen gestellt bekommen. «Das hat mit Wertschätzung der Minderheitensprache zu tun», sagt er.
In der Sonntagspresse äusserten sich Parteiexponenten zur bevorstehenden Bundesratswahl: FDP-Präsident Fulvio Pelli forderte, die FDP-Fraktion solle wenn immer möglich eine Zweierkandidatur aufstellen. Die CVP hält offiziell an ihrer Kampfkandidatur fest, obwohl es gemäss Berichten in der Sonntagspresse inoffiziell Überlegungen gibt, wonach die Erfolgsaussichten eines Angriffs auf den Sitz von Bundesrat Hans-Rudolf Merz grösser wären. SVP-Präsident Toni Brunner ist überzeugt, dass die Bundesratswahl ein abgekartetes Spiel ist. Sollte die CVP den Sitz gewinnen, überlege sich die SVP den Gang in die Opposition. Auch eine eigene SVP-Kandidatur sei weiterhin eine ernsthafte Option. (mz)
Druck kommt von den Medien
Egal, ob Welsche oder Deutschschweizer unter grösserem Druck stehen, eine andere Landessprache zu beherrschen: Der Druck ist auf alle Regierungsmitglieder gross. Denn die welschen Radio- und TV-Stationen wollen die Deutschschweizer Bundesräte interviewen. Und die welschen Regierungsmitglieder müssen fit genug sein für die deutschsprachige «Arena».
Als «eigentlich zu spät» für das Sprachstudium bezeichnet der Insider den Zeitpunkt nach der Wahl. Vorbildlich also Nationalrat Ruedi Noser (FDP/ZH), dem Bundesratsambitionen nachgesagt werden und der eben mit seiner Familie für ein Jahr nach Genf gezogen ist. Und auch Pascal Broulis büffelt derzeit in seinen Sommerferien Deutsch. Vor der Wahl.