Die Bruggerin Jessica Dubois lernt den Arbeitsalltag der Einheimischen kennen. Eine Reportage.
Jessica Dubois
Das Mädchen lächelt mir scheu zu und wendet sich darauf wieder ihrer Kaffeestaude zu. Fleissig pflückt sie die kleinen roten Früchte ab und lässt sie in den Kratten fallen, welchen sie sich um die Hüfte gebunden hat. Hier bin ich nun also, mitten in einer Kaffeeplantage im hohen Norden Nicaraguas, um den Arbeitstag eines Kaffeepflückers mitzuerleben.
Die Kleine entpuppt sich als zehnjährige Kathy, welche ihrer Mutter während der Schulferien hilft, ein Einkommen zu erwerben. Von ihrer 30-jährigen Mutter Carmen erfahre ich im Verlaufe des Morgens vom harten Alltag im Norden. Ihre Augen sprechen vom täglichen Kampf, die fünfköpfige Familie über die Runde zu bringen.
Während der vier Monate der Bohnen- und Kaffee-Ernte muss das Jahreseinkommen verdient werden, danach gibt es für die wenigsten Arbeit.
Wie die meisten jungen Frauen hat Carmen bereits mit 16 Jahren geheiratet, um ein Jahr später ihr erstes Kind zu gebären. Doch nicht nur die Arbeitslosigkeit macht der Familie zu schaffen. Hier im Norden liegen die Siedlungen weit verstreut und öffentliche Einrichtungen sind nur mühsam zu erreichen. So beträgt Kathys Schulweg täglich vier Stunden, wobei die zwei Stunden Busfahrt dazu rund einen Viertel des Einkommens beanspruchen.
Dankbar für die Arbeit
Die Sonne versteckt sich heute hinter den Wolken und es ist kühl. Trotz Wind und Wetter arbeiten die Nicas in ihren Gummischlarpen, andere Schuhe können sie sich nicht leisten. Das Kopftuch soll vor lästigen Insekten schützen, unter welchen viele Arbeiter leiden. Trotz allem ist die Arbeit weniger unmenschlich, als ich mir vorgestellt habe. Auch wenn das Kaffeepflücken auf Dauer langweilig und mühsam ist, die Zeit danach ohne Lohn ist viel härter. Und so beklagt sich keiner, im Gegenteil, alle sind dankbar für ihre Arbeit.
Ab und zu wird dabei eine Neuigkeit ausgetauscht oder ein Witz erzählt, ansonsten ist es zu meinem Erstaunen für Latinos ungewöhnlich still. Wir arbeiten weitgehend schweigend, denn bezahlt wird nicht im Stundenlohn, sondern nach Leistung. Der fleissige Arbeiter pflückt täglich rund 50 Kilo und kommt damit auf einen Tageslohn von vier Franken, was 4 Kilo Reis entspricht. Da das Geld nicht für das ganze Jahr reicht, findet in dieser Gegend oft Tauschhandel statt. Viele jedoch ziehen weg, versuchen über die Grenze nach Honduras zu gelangen und erhoffen sich dort eine bessere Zukunft.
Die Kratten füllen sich stetig, die mitgebrachten Säcke werden schwerer und schwerer. Ich pflücke weiter, eingehüllt in eine Tabakwolke – die jungen Männer verrauchen ihr halbes Tageseinkommen. Ab und zu wird mir ein Blick zugeworfen, doch die üblichen Machosprüche bleiben aus. Die Menschen sind die Gesellschaft einer Weissen sichtlich nicht gewohnt. Dennoch akzeptieren sie mich in ihrem Team, weisen mir meine Stauden zu und helfen mir, meinen Kaffeesack zu tragen.
Stundenlohn 35 Rappen
Endlich gibt der Aufseher den Befehl, das Feld zu räumen, und die Tageserträge werden abgemessen und aufgeschrieben. Wir Frauen laden unsere Säcke den Pferden auf, die Männer hingegen müssen ihre 50 Kilo selber über den steinigen Pfad buckeln. Auch meine Kaffeebohnen werden gemessen – und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich zu einem Stundenlohn von 35 Rappen gearbeitet.