Bezirksgericht
Bedingt Entlassener muss zurück hinter Gitter

Ein pädophiler Sexualstraftäter, der nach der bedingten Entlassung die behördlichen Auflagen nicht strikt befolgt hatte, muss zurück in den Knast. Er muss aber nicht nur die Reststrafe absitzen, sondern hat eine Zusatzstrafe kassiert, weil er erneut gegen das Gesetz verstossen hat.

Drucken
Zelle

Zelle

Aargauer Zeitung

Rosmarie Mehlin

Kommentar

Am falschen Ort gespart

Rosmarie Mehlin

Bedingt aus der Haft entlassene Straftäter bewegen sich auf dünnem Eis. Hinter Gittern, in geschütztem Rahmen, eingebunden in feste Strukturen, habe sie sich bewährt. Wieder draussen aber, sind viele weitgehend auf sich selbst gestellt. Und draussen lauern Versuchungen der verschiedensten Art. Ganz besonders aber jene, die einem Entlassenen bereits einmal zum Verhängnis geworden waren. Für den Einen sind es Drogen, den Anderen Kinder, den Dritten gutgläubige Mitmenschen, den Vierten leicht greifbare Reichtümer. Wohlweislich ordnet der Staat entsprechen professionelle Unterstützung an: Bewährungshilfe soll im Bewältigen des Alltags Unterstützung leisten, eine Therapie bei seelische oder körperliche Störungen helfen.

Was gut gemeint ist, kommt in der Praxis allerdings nicht selten schief heraus. Nicht nur, weil eine Entlassung aus der Haft mit Auflagen wohl nicht ganz der Freiheit entspricht, welche die Betroffenen sich erhoffen. Das gilt auch für eine angeordnete Therapie. Denn Menschen mit psychischer Störung realisieren diese selber meist nicht. Entsprechend schwierig ist für sie die Einsicht, dass sie Hilfe brauchen - und noch schwieriger, dass sie Hilfe die als Bestandteil eines juristischen Entscheids amtlich verordnet ist, aus der eigenen Tasche mitfinanzieren müssen.

Die Erfahrung zeigt: Wo es ans eigene, meist sehr schmale Portemonnaie geht, kommt der Wille zur Therapie, der meist eh auf wackligen Beinen steht, rasch abhanden. Und so wandert denn gar so mancher bedingt Entlassene, weil er die Auflagen nicht erfüllt, zurück ins Gefängnis, was dem Staat weitaus teurer zu stehen kommt, als wenn er die Kosten für eine ambulante Therapie selber tragen würde.

Dabei hat David (Name geändert) vor Bezirksgericht Baden hoch und heilig versichert, mit seinem Vorleben abgeschlossen zu haben: «Ich habe in meinem Leben anderes vor, als dauernd mit der Polizei und der Justiz zu tun zu haben.» Warum, so Gerichtspräsident Guido Näf, er dies denn gerade jetzt beschlossen habe. «So etwas braucht einfach Zeit. Man muss mit sich ins Reine kommen.» David ist jetzt 40 und kein ansehnlicher Mann. Er wirkt ungepflegt, schlägt sich mit Temporärjobs mehr schlecht als recht durchs Leben, wird zusätzlich vom Sozialdienst unterstützt. «Von Buben unter 16 Jahren lasse ich jetzt die Finger, garantiert.»

Wegen sexueller Übergriffe auf Kinder und Jugendliche war David Ende 2003 vom Bezirksgericht Baden zu 31/2 Jahren Zuchthaus verurteilt, die Strafe aber zugunsten einer stationären Massnahme aufgeschoben worden. Im September 2004 hatte das Obergericht die Strafe auf drei Jahre reduziert und David ins Zuchthaus geschickt, da er sich stets gegen eine stationäre Massnahme gewehrt hatte. Das David bereits seit dem Frühling 2003 im vorzeitigen Strafvollzug gesessen und sich dort wohl verhalten hatte, war er nach zwei Dritteln Haftverbüssung im Mai 2005 entlassen worden. Bedingt mit der Auflage sich regelmässig beim Bewährungshelfer zu melden und sich einer ambulanten Therapie zu unterziehen.

Über Kosten für Therapie geärgert

Mit dem Bewährungshelfer hatte er regelmässig Kontakt; in der Therapie hingegen lief es nicht sehr gut. Immer öfter nahm David dort Termine nicht wahr und vor allem die Rechnungen der Therapeutin nicht bezahlt: «Ich musste pro Sitzung 100 Franken aus der eigenen Tasche berappen und das hat mir mit der Zeit einfach gestunken.» Recht bald hatte die Therapeutin die Übung abgebrochen und war mit dem Bewährungshelfer übereingekommen, dass David ohnehin nicht therapierbar sei.

Eines Tages im November 2007 war die Polizei bei David aufgetaucht: Er hatte wegen Schwarzfahrens eine Busse am Hals und weil er die nicht bezahlt hatte, sollte sie in Haft umgewandelt werden. In dem billigen Hotelzimmer, in dem David seit seiner bedingten Entlassung hauste, entdeckten die Beamten diverse Fotos von nackten Knaben in eindeutig sexualisierten Posen. Mit David's Einverständnis durchsuchten die Beamten daraufhin das Zimmer und fanden auf CD tausende von einschlägigen Bildern, sowie Filme und Video Kassetten. Dxxasselbe Szenario wiederholte sich ein halbes Jahr später: Erneut wurden in Davids Zimmer Unmengen von Fotos und Filmen mit Kinderpornographie sichergestellt. Im September 2008 dann meldete ein Mitarbeiter einer Elektronikfirma der Polizei, dass er auf einem zur Reparatur gebrachten Computer Kinderpornographie entdeckt habe. Wie sich herausstellte, hatte der Besitzer des Computers diesen mehr als zwei Jahre lang an David ausgeliehen gehabt.

Weil David innerhalb der Probezeit seiner bedingten Entlassung wieder gefehlt hatte, stand nebst den nunmehr vom Staatsanwalt wegen Pornographie beantragten 6 Monate unbedingt, das Jahr Haft im Raum, das David 2005 erlassen worden war.

Hinter Pornographie steht Missbrauch

Er wolle doch, jammerte David, nicht alles wieder verlieren, was er sich in den letzten 41/2 Jahren aufgebaut habe: Einen Freundeskreis, eine kleine Wohnung, den Temporärjob und als Hobby ab und zu tanzen zu gehen. An Kindern vergreife er sich definitiv nicht mehr.

Der Verteidiger betonte, dass David sich tatsächlich keine sexuellen Übergriffe mehr habe zu schulden kommen lassen und dass die Therapeutin damals einfach zu wenig hartnäckig gewesen sei und die Flinte zu schnell ins Korn geworfen habe. Auf den Widerruf sei deshalb zu verzichtet, mit Verlängerung der Probezeit; wegen Pornographie sei sein Mandant zu gemeinnütziger Arbeit zu verurteilen.

16 Monate unbedingt als Gesamtstrafe für Pornographie und Wideruf, so das Urteil, gefällt «im Anbetracht des Vorlebens und der ungünstigen Prognose bezüglich Rückfallgefährdung», so Präsident Näf. «Zwar besteht vor dem Gesetz ein Unterschied zwischen Pornographie und sexuellen Handlungen, aber hinter jeder dieser Pornographien steht der Missbrauch eines Kindes.»