Das amerikanische Städtchen New Bern hat sich herausgeputzt. Nächstes Jahr feiert die Tochterstadt Berns ihr 300-jähriges Bestehen
Renzo Ruf, New Bern/North Carolina
Der Bär ist allgegenwärtig. Im Zentrum von New Bern, dem 1710 durch den Bernburger Christoph von Graffenried gegründeten Städtchen im US-Bundesstaat North Carolina, grüsst das Wappentier der alten Heimat an jeder Ecke. Es prangt auf Fahnen, Plaketten, Hausecken. An der Umfahrungsstrasse ist der Mutz gar in einem Feld zu bestaunen: ein typisch schweizerischer Willkommensgruss, wäre da nicht der «kleine Unterschied». Dem Bären fehlt der rote Spickel, der im «alten» Bern das Geschlechtsteil markiert.
Der «kleine Unterschied» lässt auf einen lockeren Umgang mit dem historischen Erbe schliessen - und dieser zieht sich durch die neuere Geschichte von New Bern wie ein roter Faden. Der Bär ist heute vor allem ein Werbelogo zur Ankurbelung des Tourismus. Schliesslich lebt die Stadt vom Fremdenverkehr.
Susan Moffat-Thomas widerspricht dieser Einschätzung. Die Direktorin von Swiss Bear Downtown Development hält im Gespräch energisch fest: «Es handelt sich nicht bloss um einen Werbegag.» Vielmehr widerspiegle die grosse Popularität des Berner Wappentiers die engen Bande zwischen Alt- und Neu-Bern. Sie räumt allerdings ein, dass die Berner erst Ende des 19. Jahrhunderts bei einem Besuch in Amerika den Kolonialisten ein Wappen überreicht hätten. «Seither ist der Bär in New Bern heimisch», sagt Moffat.
Auch dabei handelt es sich allerdings nur um die halbe Wahrheit. Sein eigentliches Comeback gelang dem Bären nämlich erst seit 1979. Am Beginn dieser Entwicklung stand der Niedergang von New Bern in den Nachkriegsjahren, wie Moffat erzählt. In den 1950er- und 1960er-Jahren habe das Städtchen dieselbe Entwicklung durchlaufen wie andere amerikanische Kleinzentren auch - die Innenstadt entvölkerte sich, weil die weisse Bevölkerung in die Vororte zog und sich neue Geschäfte an den Ausfallstrassen ansiedelten. Downtown verfiel, die Kriminalität nahm zu, und in der Stadtkasse klaffte ein Loch.
Dann entschied sich eine Gruppe von lokalen Politikern und Geschäftsleuten, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, wie Moffat sagt. Sie gründeten 1979 «Swiss Bear» und entwickelten auf dem Reissbrett ein neues New Bern. Gewälzt wurden Pläne für einen verbesserten Zugang zum Flussufer, eine Auffrischung des Stadtzentrums und eine Sanierung der zerfallenden Wohnhäuser.
Im Nachhinein überrascht die Zielstrebigkeit, mit denen die Swiss-Bear-Gründer ihre Vision in die Tat umsetzten. Fotos zeigen die Trostlosigkeit der bleiernen 1970er-Jahre. Am Flussufer stapelte ein Ölmulti nicht mehr genutzte Fässer neben einer alten Tankstelle. Selbst der eigentliche Gründungsort von New Bern, ein Park mit dem Namen Council Bluff Green, verkam. In der Nachbarschaft standen Warenhäuser und eine Werft, wie der Lokalhistoriker Edward Ellis sagt. «Die Industrie dominierte die ganze Gegend.»
Heute gehört das Flussufer zu den schönsten Ecken der Stadt - im Union Point Parc treffen sich Familien zum Picknick; im Gartenpavillon am Wasser werden Hochzeiten gefeiert. Unmittelbar daneben wurden ein Konferenzzentrum, Ableger der Hotelketten Sheraton und Marriott sowie ein Hafen für Jachten und Sportboote aus dem Boden gestampft. «Wir sind stolz auf das Erreichte», sagt Wirtschaftsförderin Moffat.
Spuren des Booms lassen sich auch in der historischen Innenstadt begutachten. An der Kreuzung von Middle und Pollock Street steht die Wiege von Pepsi-Cola: Hier mixte der lokale Apotheker Caleb Bradham in den schwül-heissen Sommertagen der 1890er-Jahre zum ersten Mal das klebrige Getränk. Zunächst schenkte er den Mix an seiner Theke unter dem Namen «Brad's Drink» aus, bevor er ihn 1898 in Pepsi-Cola umtaufte. 1903 erhielt Bradham auf seine Mixtur offiziell ein Patent. Bald wurde das Geschäft an der Ecke zu klein für den Apotheker; Bradham eröffnete in New Bern eine Cola-Fabrik. Schon 1910 produzierte Pepsi mehr als 100000 Gallonen des Getränks.
Doch 1923 platzten die Träume von einem Getränkeimperium: Pepsi-Cola musste Bankrott anmelden - die stark schwankenden Zuckerpreise machten die Produktion der Limonade zu einem Glücksspiel. Bradham kehrte in seine Apotheke zurück und verkaufte Pepsi-Cola an Geschäftsleute im Norden. Er starb im Jahr 1934, just zum Zeitpunkt, als seiner ehemaligen Firma nach zahlreichen Pleiten der weltweite Durchbruch gelang. Seit 1998 erinnert ein kleines Museum an den Cola-Pionier. Allerdings hinterlässt der Besuch des kleinen Museums einen fahlen Beigeschmack: Die Gedenkstätte dient primär der Promotion von Werbematerial mit dem Pepsi-Logo.
Auf dem Erreichten wollen sich die Sanierer von New Bern aber nicht ausruhen. Die Wirtschaftsförderung bemühe sich, auch die Aussenbezirke am Boom der Innenstadt teilhaben zu lassen, sagt Moffat. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg: Gemäss dem Statistischen Amt lebt ein Viertel der 28000 Bewohner von New Bern unter der Armutsgrenze. Und tatsächlich zeugen windschiefe Häuschen und Wohnwagensiedlungen an den Ausfallstrassen von den weniger attraktiven Seiten New Berns. Selbst der Bär, der ansonsten an jeder Hausecke präsent ist, hat sich in diesem Viertel noch nicht durchsetzen können.
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