Alte Gassen stehen unter urbanem Druck

Die Aarauer Altstadt lebt nach wie vor von ihrem historischen Charme und Ambiente. Sie steht aber zunehmend in Konkurrenz zu neuen und urbanen Zentren. Und muss verschiedene Interessen unter einen Hut bringen.

Drucken
Aarauer Altstadt
6 Bilder
Herzstück der Aarauer Rathausgasse
Hohe Attraktivität
Gewerbe
Gastronomie
Neue Schwerpunkte

Aarauer Altstadt

Aargauer Zeitung

Hermann Rauber

«Eine schöne, saubere und wohlgebaute Stadt», schreibt ein Berner Chronist anno 1730 über Aarau, das «wegen seiner Situation eins der schönsten Orte der Eidgenossenschaft ist.» Noch heute sieht der aufmerksame Betrachter im historischen Zentrum die spätgotischen oder barocken Hausfassaden mit den bemalten Giebeln, die vom wachsenden Wohlstand des Munizipalstädtchens im 16. und 17. Jahrhundert zeugen und noch immer für ein einmaliges Cachet sorgen.

Marketing-Konzept fehlt

Für den 2008 gegründeten Verein Aarau Standortmarketing hat die Altstadt hohe Priorität. «Es ist entscheidend, dass das historische Zentrum belebt ist und das ansässige Gewerbe wirtschaftlich rentabel arbeiten kann», sagt Geschäftsführer Markus Schenk. Die jährliche Stadtstubete, der Event «Musig i de Altstadt», Night Shopping oder Märkte bringen zusätzlich Leben in die Bude. Gut und schön, allerdings fehlt es noch immer an einem Konzept für eine gemeinsame Vermarktung der Marke Altstadt, die ja nicht nur für Stadt und Region interessant ist.

Im Stadtprospekt von 1999 wird diese Idylle zwar mit dem Hinweis auf «die stilvollen Strassenzüge, die der Altstadt auch heute noch ihr unverwechselbares Gepräge geben» fortgesponnen. Ungeschminkt wird aber auch der realistische Trend formuliert: «Mit zunehmendem Siedlungsdruck nahm die Bedeutung der Altstadt als Lebensraum ab und jene der Quartiere zu.»

Verändertes Koordinatensystem

Anders gesagt: Wer noch vor drei oder vier Jahrzehnten «in die Stadt» ging, der hatte die Altstadt zum Ziel. Doch das Koordinatensystem hat sich schleichend verschoben. «Stadt» heisst heute für viele City-Märt oder Telli-Center. Mit dem neuen Bahnhof sowie Torfeld Nord und Süd wird sich der Schwerpunkt weiter Richtung Osten verlagern. Die Altstadt muss sich ihre Position also in wachsender Konkurrenz zu urbanen «Schwergewichten» neu erkämpfen. Denn allein als willkommener malerischer Hintergrund für Maienzug, Bachfischet oder kantonale und eidgenössische Festumzüge kann sie nicht überleben.

Verschiedene Interessen

Ganz so einfach dürfte die «Revitalisierung» nicht sein. Denn im historischen Zentrum prallen ganz verschiedene Interessen aufeinander. In der Aarauer Altstadt wohnen heute rund 2000 Personen, hier werben die Geschäfte um Kundschaft, hier wird in Büros gearbeitet, die Kultur verlangt ihren Freiraum, die Gastronomie drängt auf die Gassen.

Mindestens im letzten Bereich mit Erfolg: Die Altstadt hat sich zu einer Amüsiermeile entwickelt, die kaum Wünsche offen lässt. Von der modernen Bar über Take-away-Tankstellen bis zu alternativen Etablissements oder zum harten Kern der Traditionslokale finden jugendliche Partygänger und bestandene Wirtshausbesucher das passende Lokal. Trotz einem einschränkenden Reglement für die Benutzung des öffentlichen Raums florieren vom Vorfrühling bis weit in den Herbst hinein die Gartenrestaurants, die seit einigen Jahren der Altstadt den «Piazza-Effekt» mit bunter und attraktiver Lebendigkeit zunehmend garantieren.

Alles paletti, könnte man aus dieser Optik meinen. Doch das Gleichgewicht für eine kontinuierliche und vielfältige Entwicklung der Aarauer Altstadt ist labil. Hauseigentümer und Mieter (zum Teil in einem Quartierverein zusammengeschlossen) haben oft eigene Interessen, Gewerbe und Detailhandel kämpfen darum, den bestehenden Branchen-Mix zu halten oder auszudehnen. Ziel ist es nicht zuletzt, die Altstadt zum «grössten natürlichen Einkaufszentrum der Region» zu machen, als charmante Alternative zu den Konsumtempeln auf der grünen Wiese.