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Panorama
Susanne W. stellte ihr Zeitungsbündel aus Versehen zu früh auf die Strasse. Drei Monate später flatterte ein Strafbefehl ins Haus. Wie W. ergeht es alleine in Zürich Hunderten Menschen jedes Jahr.
Als Susanne W. am 18. Februar ein Zeitungsbündel zur Sammelstelle in ihrem Quartier brachte, ahnte sie noch nicht, dass ihr dafür eine Freiheitsstrafe droht. Denn die 70-jährige hatte sich im Datum geirrt – und ihr korrekt zusammengeschnürtes Altpapier eine Woche zu früh auf die Strasse gestellt.
Ganze fünf Monate später flatterte der bisher unbescholtenen Frau aus Zürich-Nord ein Strafbefehl ins Haus. Aus «pflichtwidriger Unvorsichtigkeit» habe sie verbotenerweise Abfall auf öffentlichem oder privatem Grund «unter Missachtung des Zeitpunkts für die Bereitstellung von Wertstoffen» deponiert. «Es wurde folgendes Material gefunden: Ein verschnürtes Zeitungsbündel», wird die Übertretung im Strafbefehl beschrieben.
W. muss für ihr Versehen 270 Franken bezahlen – 120 Franken Busse und 150 Franken Gebühren. Bezahlt sie nicht, wird eine Freiheitsstrafe von zwei Tagen verhängt. W. ist sich bewusst, dass sie den Termin verwechselte: «Das war ein Fehler», sagt sie. «Ich bin aber schockiert, dass ich deswegen ohne Vorwarnung eine Busse von total 270 Franken bezahlen muss und mir sogar mit Gefängnis gedroht wird.»
Sie habe nie irgendwelche Probleme mit der Polizei gehabt, sagt W. Sie finde es «sehr bedenklich», dass die Behörden offenbar die Zeit fänden, «das Recycling-Verhalten von rechtschaffenen Rentnern zu überwachen und einen Fehler, der jedem passieren kann, so übertrieben zu bestrafen».
Ausgestellt wurde die Busse vom Statthalteramt des Bezirks Zürich, der mit der Stadt Zürich deckungsgleich ist. Statthalter Mathis Kläntschi will den Einzelfall auf Anfrage nicht kommentieren. «Wenn Altpapier ausserhalb der Entsorgungszeiten deponiert wird, gilt das grundsätzlich als verbotenes Ablagern von Abfall», sagt er.
In der Regel erstatte der Kontrolldienst der Stadt Zürich Anzeige bei der Stadtpolizei, welche den Verursacher dann üblicherweise zur Stellungnahme auffordere. Es komme aber auch vor, dass die Polizei direkt Anzeige erstatte. W. sagt, tatsächlich habe sie einen Brief von der Stadtpolizei erhalten, sich dabei aber nichts weiter gedacht. «Ich konnte schliesslich akzeptieren, dass ich mich im Datum geirrt hatte.» Deshalb verzichtete sie auf eine Stellungnahme und nahm an, dass sie allenfalls eine kleine Busse bezahlen werden müsse. «Aber sicher nicht 270 Franken unter Androhung von Gefängnis!»
Zur fünfmonatigen Frist zwischen der Übertretung und dem Eintreffen des Strafbefehls sagt Käntschi, die Bearbeitungsdauer hänge von der Geschäftslast ab. Die Verjährungsfrist für Übertretungen, zu denen der Datums-Irrtum gehört, betrage drei Jahre.
Immerhin: W. ist nicht alleine. Alleine letztes Jahr stellte das Statthalteramt Zürich 1500 Strafbefehle wegen «widerrechtlicher Abfallentsorgung» aus. Davon betroffen sind nicht nur Rentner, die sich im Datum irren. Auch Zugezogene, die den Karton nicht richtig bündeln oder Abfallsünder, die keine Säcke der Gemeinde verwenden. Sie alle müssen mit dicker Post des Statthalters rechnen – im Zweifelsfall auch Monate danach.