Am Sonntagabend feierte Til Schweiger Premiere: Als neuer Hamburger Kommissar Nick Tschiller. Seine Fans bekamen, was sie erwarten durfen: Viel Geballere, reichlich Action - und mittendrin Til als Art Dirty Harry, Retter der Welt.
Das erste Wort ist gleich das Statement: «Fuck», genuschelt in bester Schweiger-Manier.
Wer älter ist als 30 und zu den eingefleischten Fans des populärsten aller deutschen Krimis gehört, weiss, an welche Referenz das F***-Wort gerichtet ist. Bei Kult-Kommissar Götz George alias Horst Schimanski war es 1981 «Scheisse».
George verkörpert wie kein anderer nach ihm den klassichen Sololauf-Ermittler mit in tiefen Schichten verborgenem weichen Kern und harter Schale, die keine kugelsichere Weste braucht.
In diese grossen Fussstapfen will Schweiger nun treten, und es ist ihm, so viel sei vorweggenommen, auch recht passabel gelungen.
Schweiger alias Nick Tschiller ermittelt wie Schimanski in Hoodie und Lederjacke, auf eigene Faust und fern von realistischem Polizeialltag.
Ermitteln im Kollektiv? Denkste! Ein weisser Ritter operiert stets allein. Die besten Waffen bleiben die Fäuste, die Spürnase wie ein Trüffelhund im tiefsten Dreck. Deswegen wurde Schimanski Kult, seine Lederjacke und zerfurchtes Gesicht sein Markenzeichen.
In diese Fussstapfen will Schweiger also treten, und mit Tempo, Testosteron und vielen Ballereien will er den Sonntagabendkrimi aufmischen.
Jener deutscher Schauspieler, der für seinen Ehrgeiz und Kontrollwahn berühmt ist, für seine super erfolgreichen Filmproduktionen (Keinohrhasen, Kokowääh etc.) geachtet und doch als Schauspieler von der Kritik etwas unterschätzt ist, was daher rührt, dass er in seinen Rollen stets das verkörpert, was im Feulleton als einfach simplizistisch:
Der eher körperliche, dennoch im Innersten sensible Typ mit klasse Sixpack, das ein Pin-up für die Frau, die denkt, sie denke nicht; ein Kumpel für den Mann, der auch mal wieder zügellos Auto fahren und das gewünscht Weibliche im Mann ins Orbit kicken möchte. Aber: Mit diesem Rezept lockt Schweiger Millionen ins Kino.
Im Tatort ist er ein Hoodie-Kommissar, der mit unkonventionellen Methoden heraussticht. Und so die Erwartungen der Zuschauer erfüllt, denn der erwartet ja keine schusselig-dussligen Komiker (Thiel und Boerne), keine esoterisch angehauchten Ermittler in Haremshosen (Jens Stellbrink) und auch keine Kommissare, die mit ihrem Gehirntumor reden (Felix Murot). Sondern Schweiger.
Will heissen: Satte Actionszenen, Ermittlungen im Sololauf bar jeder Vernunft, aber mit hehren Absichten (es gilt eine Gruppe minderjähriger, zur Prostitution gezwungener russischer Mädchen aus den Fängen ihrer Peiniger zu retten), garniert von nicht zu knappem Kugelhagel und flotten Dialogen, alles in rasendem Tempo.
Bei «ei» hab ich geschossen
Der Plot ist rasch erzählt. Tschiller ist der neue Mann, der den Hamburger Kiez aufmischen soll. Gleich zu Beginn will er einen Mädchenring auffliegen lassen.
Das geht schief, und so killt Tschiller in der ersten Minute drei Typen. Ist das Ersatzmagazin leer, wird geprügelt - in guter alter Bruce Willis-Manier. «Dreifacher letaler Schusswaffengebrauch», heisst das in Juristendeutsch. «Es war Notwehr», sagt er dazu knapp.
Auch sein Vorgesetzter macht ihm klar: «So arbeiten wir hier nicht! Bei uns werden Verdächtige festgenommen und dann verhört.»
«Das wollten die aber nicht», kontert Tschiller lapidar. Später von der attraktiven Juristin (ein Techtelmechtel drängt sich in weiteren Folgen geradezu auf) gefragt, ob er den Erschossenen auf seine «polizeiliche Gewaltanwendungslegitimation» hingewiesen habe, antwortet Tschiller lapidar: «Ja, ich hab Polizei gesagt, bei «ei» hat er geschossen.» Genau für solche Sätze wird er verehrt.
Sich von jeglicher Kontrollinstanz befreit, knallt, schiesst und flucht sich Tschiller 90 Minuten durch den Film, bis fast sämtliche Mädchenhändler beseitigt, sein ehemals bester Freund und Partner festgenommen, die geretteten Mädchen aus ihrem erbärmlichen Versteck herauskommen und er selbst verbeult, aber glücklich dasteht.
Die Message ist klar: Nick Tschiller, das ist die Verkörperung des klassischen Topos des Marlboro-Manns in Polizistentracht.
Eine väterliche Rächerfigur, wie wir sie aus dem amerikanischen Kino kennen (und eben auch von Schimanski). Figuren, deren persönliche Anliegen stets zu dringlich waren, um sie über umständliche rechtstaatliche Prozesse abzuwickeln.
Schweiger spielt in dieser Helden-Ikonographie selbstironisch mit. Beispiel: «Schiller, wie der Dichter?», wird Tschiller in der Hotellobby von der Rezeptionistin gefragt. «Wer?» antwortet er zurück. «Die Glocke?», sagt sie. «Tschiller», so Schweiger. «Ich nuschle ein bisschen.»
Erwähnenswert bleiben auch die anderen Figuren an seiner Seite: Schweigers Tochter Luna als Filmtochter Lenny, die etwas hüftsteife Assistentin, oder der angeschossene Ko-Ermittler Fahri Yardim, dessen Part auf Vorschlag Schweigers völlig zu Recht besetzt wurde (Yardim spielte schon in «Keinohrhasen», «Kokowääh» und «Schutzengel» mit).
Dass Yardim ans Bett gefesselt ist, ermöglicht Schweiger den Alleingang, und bringt Yardim als Ermittler via Handy und Laptop viele Sympathien ein.
Das Publikum gab Schweigers Kommissar recht: Über 12 Millionen sahen den Krimi. So, wie es Axel Prahl alias Kommissar Thiel aus Münster prophezeite: «Er wird uns alle übertrumpfen», orakelte er.
Kritiker sagten, dazu müssten schon mal 12 Millionen Zuschauer reinschauen, eine exorbitante Zahl.
Auch wenn einige unter uns Til Schweigers Vorgänger, den künstlerisch überragenden verdeckten Ermittler Cenk Batu alias Mehmet Kurtulus, vermissen: Nick Tschiller gilt es nun zu schlagen.