Bundesrätin Leuthard hätte es nicht nötig gehabt, ihren umstrittenen Tweet nach den Anschlägen auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo in Paris zurückzunehmen, findet Kabarettist Marco Rima. «Sie hätte sagen können, dass es ihre Meinungsfreiheit sei», sagt er.
Marco Rima ist ein Künstler, der die Menschen zu unterhalten weiss. Den einen gefällt seine Art von Humor mehr, den anderen weniger. Fakt ist, dass er als Kabarettist in der Öffentlichkeit steht und sich mit Themen befasst, die die Menschen beschäftigen. Nach dem Anschlag auf die Redaktion des Satire-Magazins Charlie Hebdo stellen sich nach wie vor viele Menschen Fragen wie: Worüber darf man Witze machen? Gibt es eine Grenze?
Parallel zu seiner neuen Bühnenshow «Made in Hellwitzia» (Tourstart: 18. Februar) bringt Marco Rima erstmals eine CD mit den Songs seines Programms auf den Markt. Um sein Album und die Single «Chuchichäschtli», die ab heute erhältlich ist, vorzustellen, schaute er im zt-Medienhaus vorbei. Radio-Inside-Musikchef Christoph Stöckli nutzte die Gelegenheit, um mit dem Kabarettisten für einmal ein paar ernstere Worte zu wechseln – über den Anschlag auf Charlie Hebdo.
In Anlehnung auf «Je suis Charlie», den Spruch, mit dem sich Menschen mit der Redaktion von Charlie Hebdo solidarisiert haben, stellte ihm Stöckli die Frage: «Waren Sie auch Charlie?» Marco Rimas Antwort: «Nein, ich war nicht Charlie.» Er habe sich mit dem ersten Spruch «Satire ist kein Freipass. Aber keine Darstellung, keine Publikation legitimiert Gewalt. Das ist aufs Schärfste zu verurteilen», den Bundesrätin Doris Leuthard veröffentlicht und auf den sie einen Shitstorm erlebt habe, identifiziert.
«Ich war schockiert von diesem Attentat. Allerdings bin ich als Bühnenschaffender auch verpflichtet darüber nachzudenken, was möglich ist, was nicht, und womit ich Menschen in ihren Empfindungen verletze», erklärt Marco Rima und fügt an: «Ich denke, im Geist und im Tun ist jeder wirklich frei, darf machen, was er will. Aber wir leben – und dies nicht seit zehn Jahren, sondern schon immer – in einer radikalisierten Welt, in der wir es mit Terroristen, mit bösen Menschen zu tun haben. Deshalb muss man auch ein Stück weit damit rechnen, dass es nicht gut kommt und nicht gut endet.»
Aufgabe eines Staates – gerade wie Frankreich – sei es, sich der Ghettoisierung entgegenzustellen. Rima sieht eine grosse Chance in der Bildung: «Es ist wichtig, dass die Kinder eine Ausbildung erhalten und den Klauen dieser radikalisierten Kräfte, egal welcher Art, entrissen werden.» Es sei wichtig sich immer zu überlegen, was in Sachen Humor gemacht werden könne und was nicht.
Ansonsten führe es nur dazu, dass die Menschen sich emotional gegenseitig hochschaukelten. Die Wut wachse, sodass irgendwann Leute betroffen seien, die anständig lebten und alles andere als schlimme Menschen oder Terroristen seien. «Deshalb bin ich immer ‹Je suis Marco›», betont er. Er würde jedem empfehlen, sich selbst zu sein und sich ehrlich zu hinterfragen: «Bin ich für meine Umgebung und mein nächstes Umfeld ein Vorbild? Trage ich etwas dazu bei, dass man Hand in Hand und nicht gegeneinander geht?»
Hat er es bedauert, dass Bundesrätin Leuthard ihren Spruch zurückgenommen hat? «Ja, denn sie hatte dies nicht nötig», unterstreicht Marco Rima und fügt an: «Sie hätte sagen können, dass es ihre Meinungsfreiheit sei. Das war für mich wieder eine ganz typische Sache, bei der sich viele Menschen selber widersprechen.» Danach gefragt, was er damit meine, entgegnet Rima: «Die Menschen verlangen Meinungsfreiheit. Sie beschliessen aber bei jemand anderem, der eine Meinung zu jemand anderem hat, dass nur ihre eigene Meinung gilt – und das ist sehr schade.»
Gibt es Dinge in Marco Rimas Leben, die er mit Humor nicht schafft? «Es sind all diese schlimmen Ereignisse, die mir Sorgen bereiten. Es wird täglich über die IS und Boko Haram berichtet. Über Gräueltaten, die im Namen von irgendeinem Glauben – oder was auch immer – ausgeübt werden», sagt Rima und stellt die Frage in den Raum, ob Menschen im Mittelalter glücklicher gelebt hätten, weil man nicht über alles informiert gewesen sei.
«Allerdings hat der Fenstersturz in Prag den 30-jährigen Krieg zwischen den Katholiken und den Reformierten ausgelöst ... Dies nur als kleiner Hinweis an alle, die das Gefühl haben, wir hätten diese Glaubenskriege nicht geführt», so Rima. Und: Noch vor 40, 50 Jahren sei es schwierig gewesen, wenn eine Katholikin mit einem Reformierten eine Heirat hätte eingehen wollen. Das habe ziemliche «Lämpe» gegeben innerhalb der Familie. Da falle es schwer, mit Humor zu agieren.
Nichtsdestotrotz sei genau dies das Interessante an der Satire und am humorvollen Umgang mit Themen, die schwierig sind: «Es ist meine Aufgabe als Kabarettist, die schwierigen Themen so zu entschärfen, dass man darüber lachen kann.» Dies jedoch immer mit Fragen verknüpft wie: «Geht dies auf Kosten von jemandem? Oder ist es so, dass es für alle befreiend ist, selbst für die, die es betrifft? Können sie darüber nachdenken, ohne dass sie sich angegriffen fühlen?»