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Er spielte schon einen Engel, Heidis Alpöhi und Adolf Hitler: Der Schauspieler Bruno Ganz (76) über seine neuen Projekte, das Älterwerden – und verpasste Chancen.
Fast könnte man meinen, er habe die Rolle aus der Heidi-Neuverfilmung vom letzten Jahr noch nicht abgelegt. Als Bruno Ganz im Zürcher Hotel Ambassador für seine nächste Rolle zum Interview mit der «Schweiz am Wochenende» erscheint, wirkt er von der Aufmachung her eher wie der gutmütige Alpöhi und weniger als das, was er ist: Einer von Europas renommiertesten Film- und Bühnenschauspielern. Er ist da, um über seinen neuen Film, das satirische Kammerspiel «The Party», zu sprechen. Im Verlaufe des Gesprächs gibt er Brisantes aus seiner Karriere preis. So wurde er einst für die Hauptrolle in einer von Hollywoods berühmtesten Romanzen angefragt.
Bruno Ganz: Nein, ich meide solche Veranstaltungen, wenn immer es geht. Die sind mir nicht sympathisch. Ich habe sie schon immer gehasst.
Ich mag sie einfach nicht. Nur schon physisch. Man steht da herum und kann sich mit niemandem richtig unterhalten. Seit ich keinen Alkohol mehr trinke, ist das nur noch langweilig.
Na ja, ich bin manchmal selber aus dem Ruder gelaufen, weil ich zu viel getrunken hatte. Ich erinnere mich an eine Veranstaltung in einem Berner Nobelhotel. Ein mieser Journalist hat meine offensichtliche Trunkenheit ausgenutzt und ein ekelhaftes Interview daraus gemacht. Damals war ich noch so blöd, dass ich mich darauf eingelassen habe.
Als ich zusammen mit Iris Berben das Präsidium der Deutschen Filmakademie innehatte, konnte ich mich nicht gut vor solchen Anlässen drücken. Auch bei Filmpremieren und roten Teppichen geht das schlecht, aber ich halte mich, soweit es geht, zurück. Nach der Premiere von «The Party» in Berlin ging ich mit unserer Regisseurin Sally Potter und ihrem Ehemann Chris essen. Das habe ich gerne gemacht.
Das glaube ich weniger. Auf jeden Fall ist es nicht mein Ehrgeiz oder Anspruch, aber es passiert wahrscheinlich. Oft bringt man mir zu viel Achtung und Ehrfurcht entgegen. Die muss ich dann beseitigen. Das ist keine gute Basis für die Zusammenarbeit.
Das ist ein Thema, das seit Jahren Konjunktur hat, vor allem in Hollywood. Diese Diskussion hat sicher eine grosse Berechtigung, und es ist auch richtig, darüber zu reden – wie auch über das Vorkommen von Afroamerikanern in den US-Filmen. Aber ich sehe beispielsweise keinen Sinn darin, schematisch und durch Quoten den Frauenanteil einfach aufzustocken. Kunst ist keine demokratische Veranstaltung.
Bruno Ganz, der am 22. März 1941 in Zürich als Sohn eines Schweizer Fabrikarbeiters und einer Italienerin geboren wurde, machte nach der Ausbildung am Zürcher Bühnenstudio ab 1962 in Deutschland Theater-Karriere, wo er mit Regisseuren wie Peter Zadek, Claus Peymann und Peter Stein arbeitete. Mit «Der amerikanische Freund» von Wim Wenders, in dessen «Himmel über Berlin» er später einen der beiden Engel verkörperte, schaffte er 1976 den Durchbruch als Filmschauspieler. Für die Darstellung von Adolf Hitler in «Der Untergang» wurde Ganz 2004 mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet. Er lebt getrennt von seiner Ehefrau Sabine, mit der er einen erwachsenen Sohn hat.
«The Party» läuft jetzt im Kino. In Matti Geschonnecks Film «In Zeiten des abnehmenden Lichts» (Start: 17. August) brilliert Ganz als hoher DDR-Funktionär, dessen 90. Geburtstags-Feier kurz vor dem Mauerfall zur Eskalation schwelender Konflikte führt. (rhö)
Ja, das Gesundheitswesen ist ein grosses Thema in England, speziell, wenn man Labour nahe steht. Die Einführung nach dem Krieg war eine riesige Errungenschaft für die englische Gesellschaft, wurde aber unter Maggie Thatcher stark zurückgeschraubt. Labour hat daran bis heute schwer zu knabbern. Ausserdem gaben während der Dreharbeiten die Brexit-Kampagne und die schlechten Leistungen der Fussballer an der EM zu reden.
Nein, Engländer lassen sich nicht so leicht unterkriegen. Erst am Morgen, nachdem der Brexit feststand, haben die Kollegen die Köpfe hängen lassen. Damit hatten sie nicht gerechnet. Es sind sogar Tränen geflossen.
Nicht so oft. Manchmal passiert es unabsichtlich. Ich sitze in irgendeinem Hotelzimmer in Athen und schalte den Fernseher ein, weil ich nicht schlafen kann, und plötzlich bin ich mit mir selbst konfrontiert – in einer Sprache, in der ich kein Wort verstehe.
Meistens ändere ich meine Meinung nicht. Es gab jedoch einen deutschen Film, bei dem mich der Verriss im «Spiegel» unheimlich gekränkt hat. Als ich ihn zehn Jahre später nochmals sah, dachte ich: Dieser Kritiker hat doch recht gehabt (lacht)! Ich habe es damals nur nicht gemerkt oder konnte es mir nicht eingestehen.
Das bedauere ich eigentlich nicht, aber klar, Englisch ist näher am Kino als Züridütsch. Englischer Muttersprache zu sein, wäre schon ein grosser Vorteil. Ebenso, in London oder Los Angeles zu leben. Man wäre einfach näher dran.
Wenn Fellini mich gewollt hätte, hätte er mich haben können, aber da ist nichts passiert. Was will man machen?
Bei den Amerikanern weiss man nie, ob sie einen wirklich wollen oder nur mal die Fühler ausstrecken. Die bieten eine Rolle gleich einer ganzen Gruppe von Schauspielern an, wenn sie ihrem Rollenprofil in Sachen Alter, Typ und Aussehen einigermassen entsprechen, und fragen dann immer, ob man in dieser Zeit frei wäre. Da spürt man, dass noch 30 andere infrage kommen. Und wenn man dann Interesse zeigt, eiern sie herum. Ein- oder zweimal war ich für einen Film im Gespräch, der ein unglaublicher Welterfolg wurde.
Nein. Das hat Steven Spielberg entschieden. Ich hatte ihm ein furchtbar schlechtes Video geschickt.
«Pretty Woman».
Ja, aber genau genommen habe ich dieses Angebot nicht abgelehnt. Es ist vielmehr irgendwie versandet. Und das andere grosse Ding fällt mir gerade nicht ein.
In der Zeit, in der ich zur Bühne wollte, konnte das Ziel nicht vordringlich der Pfauen (das Zürcher Schauspielhaus, Anm. d. Red.) sein. Ich wusste, dass ich aus diesem Land herausmusste. Mein Ehrgeiz war es, möglichst akzentfrei Hochdeutsch zu lernen. Das Studententheater in Göttingen war für mich eine harte Schule. Die Beschäftigung mit Werken von Autoren wie Goethe oder Kleist liessen die Hochsprache nicht nur selbstverständlicher werden, sondern das Verhältnis zu ihr auch inniger. Ich sah, was die deutsche Sprache auf diesem Niveau an Differenzierung und Ausdruck bedeuten kann, und das ist grossartig.
Es ist nicht mehr so selbstverständlich. Mir ist aufgefallen, dass die heutige Generation ganz andere Ausdrücke verwendet als wir, wenn wir an der Riviera sassen und angeberisches Zeugs sagten wie «de Plausch» oder «weisch wie».
Nein, das war nie meine Welt, obwohl ich dieser Generation angehöre. Ich erinnere mich gut an die 60er-Jahre, den Einbruch der Popwelt, vor allem mit den Beatles und den Rolling Stones. Selbst Bilder von Roy Lichtenstein wurden als Elemente der Bühnenbilder in deutschen Theatern projiziert. Es gab einen riesigen Einbruch der angelsächsischen Popwelt in die deutsche Kultur.
Ich habe einfach nie ein enges Verhältnis zur Popkultur entwickelt. Rock ’n’ Roll hat mich nicht sonderlich interessiert. Kürzlich war ich aber am Konzert der Guns N’ Roses im Letzigrund. Ich war nicht sehr beeindruckt, ausser vom Gitarristen Slash, der war toll.
Nein, das brauche ich nicht. Das würde mich wahrscheinlich eher erschrecken. Mir ist es recht, so wie es ist.
Die Kinder erkennen mich, aber Sie rennen nicht auf mich zu. Für sie ist es schwer zu begreifen, wenn sie eine Filmfigur im echten Leben sehen. Da ist der Alpöhi, aber der ist ja völlig anders angezogen. Sie hängen am Bild, das sie vom Kino kennen, das Original interessiert sie weniger.
Doch, Selfies verlangen alle möglichen Leute. Jugendliche weniger, eher ältere Damen. Das ist die neue Form des Autogramms.
Ich achte darauf, dass die Abstände zwischen den einzelnen Filmen grösser werden. Wenn die Planung zu eng ist, wird es mir unangenehm, wohl auch altersbedingt. Denn für jedes Projekt braucht es eine gewisse Vorbereitungszeit. Andererseits lässt es sich manchmal nicht vermeiden. So habe ich kürzlich mit Lars von Trier gedreht. Das war sehr stressig, weil dieses Projekt ganz dicht auf einen vorherigen Dreh folgte. Aber bei so einem Regisseur kann ich nicht Nein sagen.
Das sind Hollywood-Leute, die grosse Häuser besitzen, die sie finanzieren müssen. Andererseits hat mir mein Kollege, der schwedische Schauspieler Stellan Skarsgård («Mamma Mia!», «The Avengers», Anm. d. Red.), gesagt, dass er nur dank seiner Auftritte in solchen Blockbustern die Chance erhielt, in interessanten Arthouse-Filmen zu spielen. Die Produzenten schauen immer, wie bekannt die Schauspieler sind. In Los Angeles ist das nun mal so.
Schon. Andererseits kann man auch sagen, ich hätte eine Chance verpasst, als ich um die 40 Jahre alt war. Dann hätte ich nach L. A. ziehen und mir einen Agenten suchen müssen – und regelmässig an Partys gehen.
Ich bin froh, wenn ich mal nichts geplant habe und den Tag einfach verstreichen lassen kann. Vielleicht gehe ich dann in der Natur spazieren, ins Kino oder lese etwas. Diese unorganisierte Freiheit schätze ich sehr.
Ich wollte heimkehren. Einfach nach Hause. In eine vertraute Sprache, vertraute Sitte, vertraute Umgebung. Alles, was ich gut kenne.
In Seebach wurde es mir zu klein. Meine Bücher lagen überall am Boden, und irgendwann erinnerte ich mich an einen Ausflug mit meinen Eltern zur Halbinsel Au. So entstand die fixe Idee, dass ich nach Au möchte. Und das hat sich dann auch ergeben.
Ach, die Schweiz ist doch relativ problemfrei. In Deutschland ist es anders. Deutschland ist ein grosses, wichtiges Land, ist Mitglied der Nato und der EU. Dort herrschen im Parlament andere Sitten. Die Auseinandersetzungen sind viel härter. Deutsche Politik ist interessanter, unterhaltsamer und weniger verdeckt als in der Schweiz. Aber ich bin froh, dass ich mich nicht mehr so sehr mit Frau Merkel beschäftigen muss. Hier ist es ruhiger, und ich bin alt genug, um diese Ruhe zu geniessen.
Oh, nein! Ich gehe nicht mal ans Sechseläuten. Dabei werde ich immer eingeladen, Reden zu halten und an diesem und jenem Umzug teilzunehmen. Glücklicherweise habe ich das bis jetzt alles ablehnen können.