Heinz Brotschi
Die Aussicht muss man sich denken

Hoch oben auf dem Turm der Eusebiuskirche muss man eine tolle Sicht über die Uhrenstadt haben – könnte man denken. Doch wer sich die Mühe macht, die eng gewundene Treppe hochzugehen, wird enttäuscht.

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Heinz Brotschi

Heinz Brotschi

Solothurner Zeitung

Brigit Leuenberger

Der steil in den Spitz zulaufende Turm der Eusebiuskirche ist von weither zu sehen: ein Wahrzeichen der Uhrenstadt, das jedem heimkehrenden Grechner zuverlässig den Weg weist. Sieben Glocken verbergen sich hinter der grünlich-blauen Dachabdeckung, jede anders in Grösse und an Klang, und jede mit einem Namen versehen. So gibt es beispielsweise die Totenglocke, die Schutzengelglocke oder auch die Christusglocke.

Ganz oben im Glockenstuhl zu stehen, ist ein waghalsiges Unternehmen. Eine Schiebetüre verschliesst den Zugang, der nur über eine schmale Leiter passiert werden kann. «Aussicht? Nein hier oben gibt es keine Aussicht, es hat nur ganz kleine Fenster», sagt Sigrist Heinz Brotschi. Und weil die volle Stunde naht, darf er ohnehin niemanden hinauf steigen lassen. «Das ist so laut da oben, dass ist wirklich gefährlich», betont er.

«Nie Grund, die Kirche anzuzweifeln»

Heinz Brotschi ist seit eineinhalb Jahren Sigrist in der Eusebiuskirche. Zuvor war er über 40 Jahre als Heizungsmonteur und Sanitär in Grenchen unterwegs gewesen. «Ich habe aber immer gedacht, ich müsse mal noch etwas ganz anderes machen», erklärt er. Deshalb habe er sich als 58-Jähriger zusammen mit seiner Frau für das Amt des Sigristen beworben und die Stelle prompt bekommen.

Gläubig war Heinz Brotschi indes schon vorher. «Ich bin immer in dieser Kirche gewesen», erzählt er. Heinz Brotschi wurde in Grenchen geboren, ist hier aufgewachsen. In der Eusebiuskirche war er als Jugendlicher fast jeden Samstag zur Beichte. Nicht im Schwimmbad? Heinz Brotschi lacht. «Nein, das hat mir nie viel gesagt.»

Stattdessen war er ein eifriger Ministrant und später Mitglied des Kirchenchors. «Der Glaube hat mich immer interessiert, und ich hatte nie einen Grund, die Kirche anzuzweifeln», betont er. Jeden Sonntag ging er zusammen mit seiner Frau und den Kindern zur Messe. «Auch unsere beiden Söhne waren lange Zeit Ministranten.»

«Wir haben es sehr gut hier»

Heute hat jeder seiner Buben - mittlerweile über 20-jährig - einen guten Lehrabschluss in der Tasche. Der Jüngere ist gar in die Fussstapfen des Vaters getreten und Heizungsmonteur geworden. «Er arbeitet sogar bei meinem früheren Arbeitgeber.» Das erfüllt Heinz Brotschi mit Stolz.

Zügig steigt der Sigrist jetzt die enge Wendeltreppe hinauf in den Turm. Manchmal geht er diesen Weg mehrere Mal am Tag, häufig auch mit dem Staubsauger unterm Arm. «Hier hat es immer Staub und tote Fliegen», sagt er. Die Reinigung der Kirche, des Turms und der Umgebung ist seine Aufgabe.

Ebenso ist er dafür zuständig, dass vor jeder Messe, vor Taufen, Beerdigungen und Hochzeiten alles am richtigen Platz ist. «Frei habe ich eigentlich nur am Montag, aber selbst da mache ich immer einen Kontrollgang», sagt Heinz Brotschi. Die hohe zeitliche Präsenzzeit stört ihn nicht. «Ich und meine Frau haben es sehr gut hier.»

Ein Monat in der Sakristanenschule

Vor einem halben Jahr hat Heinz Brotschi während zwei mal zwei Wochen die Sakristanenschule besucht und in diesem Zusammenhang eine Arbeit über «seine Kirche» geschrieben. «An dieser Arbeit sass ich viele Abende. Jeden Satz habe ich selber verfasst», erzählt der Sigrist stolz und zeigt die mehrseitige, mit vielen Bildern versehene Broschüre. Darin findet sich beispielsweise der Dorfbrand von 1868, dem nebst vielen Bauernhäusern auch der Turm der Eusebiuskirche zum Opfer gefallen war.

Der Turm konnte allerdings innerhalb eines Jahres neu aufgebaut werden. Aus touristischer Sicht lässt sich dieser Kirchturm allerdings maximal als Postkartensujet vermarkten. Turmführungen ohne Aussicht auf den erwartet schönen Rundumblick machen da wenig Sinn.