Staatsrechtsprofessor Bernhard Ehrenzeller ist ab Februar 2020 Rektor der Universität St.Gallen. Der 65-Jährige wehrt sich gegen den Vorwurf, eine Notlösung zu sein, und spricht über seine Sicht auf die jüngsten Affären.
Bernhard Ehrenzeller, die Universität St.Gallen steckt von aussen betrachtet in grösseren Schwierigkeiten. Mitten in der Debatte um Spesen und Nebentätigkeiten sind Sie zum künftigen Rektor gewählt worden. Warum tun Sie sich das an?
Eines vorweg: Wir haben derzeit ein funktionierendes Rektorat. Ich bin gewählt ab Februar 2020 und bereite mich nun auf das Amt vor. Die Probleme, die Sie erwähnen, haben mich nicht davon abgehalten, Ja zu sagen.
Warum nicht?
Nach 22 Jahren an der HSG kenne ich die Uni von innen und aussen und weiss genau, wie sie funktioniert. Als ich gefragt wurde, ob ich das Amt des Rektors annehmen wolle, weckte dies mein Verantwortungsgefühl: Ich will mich engagieren für diese Institution, weil es sich lohnt, sich dafür einzusetzen. Nach reiflicher Überlegung habe ich mit Begeisterung zugesagt.
Sie sind 65 Jahre alt. Sind Sie eine Übergangslösung?
Was heisst Übergangslösung? Wenn damit eine Notlösung gemeint ist, bin ich nicht einverstanden. Wenn damit aber gemeint ist, dass es darum geht, einen Umbruch oder eine Veränderung zu gestalten, dann stimme ich vollumfänglich zu. Diesen Übergang, in dem wir heute stehen, muss man bewältigen, das ist eine Aufgabe des jetzigen und künftigen Rektorats. In nächster Zeit werden mit der Überarbeitung des Universitätsgesetzes grundlegende Weichen gestellt.
Sie waren Mitglied der Findungskommission für den neuen Rektor, nun übernehmen Sie das Amt gleich selber. Ist das nicht ungewöhnlich?
Doch. Mit ein Grund ist, dass das Wahlprozedere geändert hat. Früher machte der Rektor jeweils einen Vorschlag für seine Nachfolge, der kaum bestritten wurde. Vor rund eineinhalb Jahren forderte der Universitätsrat, das Aufsichtsorgan der HSG, frühzeitiger ins Wahlprozedere einbezogen zu werden. Man einigte sich dann darauf, dass der Senat – das oberste akademische Organ – eine Findungskommission mit drei Personen einsetzt, die den Unirat über mögliche Kandidaten vorinformiert. In diese Kommission wurde ich gewählt, wobei alle drei von uns sagten: Ich will nicht Rektor oder Rektorin werden.
Warum harzte danach die Suche nach Kandidaten?
Wir haben unzählige Gespräche geführt. Im Herbst hatten wir eine Dreierliste mit Kandidaten, die der Unirat absegnete. Doch dann zogen sich alle drei zurück – aus unterschiedlichen Gründen. Wir standen wieder am Anfang, und es wurde sehr schwierig, innert nützlicher Frist weitere geeignete Kandidaten zu finden.
Kam von aussen niemand in Frage?
Das Gesetz schreibt heute vor, dass der Rektor oder die Rektorin aus dem Kreis der ordentlichen Professoren der HSG stammen muss. Einen auswärtigen Kandidaten hätten wir also zuerst zum Ordinarius machen müssen, erst dann wäre er als Rektor wählbar gewesen. Das wäre zu diesem Zeitpunkt, mitten im Auswahlverfahren, sehr schwierig geworden. Dann kam die Anfrage an mich. Und ich sagte: Gut, in dieser Situation bin ich bereit, das Amt zu übernehmen.
Warum wehren sich die Professoren dagegen, dass man ihnen bei der Auswahl des Rektors dreinredet?
Das hat mit der Autonomie der Uni zu tun. Klar: Der Universitätsrat ist das höchste Organ, das politische Gremium. Aber die wesentlichen akademischen Entscheide – etwa die Berufung neuer Professoren – bereitet die Uni selbstständig vor. Das sollte von innen her kommen, auch wenn am Ende der Unirat und die Regierung die Entscheide treffen respektive genehmigen. Der Rektor oder die Rektorin muss in der Uni verankert sein. Das ist das Wesen einer autonomen akademischen Institution.
Auswärtige hätten also schlechte Karten, Gesetz hin oder her.
Die Person müsste zu uns passen, und das ist nicht ganz einfach. Eine Organisation wie die HSG verträgt es nicht, dass man irgendeinen Manager holt und ihm sagt: So, jetzt mach hier mal Ordnung. Und unabhängig von den gesetzlichen Einschränkungen: Die HSG als führende Wirtschaftsuniversität mit knapp 100 Professorinnen und Professoren sollte doch in der Lage sein, einen Rektor oder eine Rektorin stellen zu können.
Der Rektor darf künftig keinen Nebentätigkeiten mehr nachgehen. Sehen Sie darin ein Problem?
Für mich selber überhaupt nicht. Mein einziges wesentliches Nebenmandat ist das Richteramt am Liechtensteiner Staatsgerichtshof, dieses gebe ich ab. Ich möchte mich auf mein Amt als Rektor konzentrieren. Auch werde ich nicht mehr für das Katholische Kollegium des Kantons St.Gallen kandidieren. Allerdings ist das Verbot von Nebentätigkeiten noch nicht in allen Einzelheiten festgeschrieben – die Debatte läuft und man muss aufpassen, dass man das Kind nicht mit dem Bade ausschüttet.
Was meinen Sie damit?
Es wäre aus meiner Sicht übertrieben, dem Rektor jede Art von Nebenbeschäftigung zu verbieten. Ich bin zum Beispiel Mitglied im Vorstand des Freundeskreises der Stiftsbibliothek und in verschiedenen wissenschaftlichen Gremien. Ist es sinnvoll, dass ich dort austrete? Für mich ist klar: Der Rektor soll primär Rektor sein. Er soll keine finanziellen Anreize haben, etwas anderes zu machen neben dem Rektorat, und es darf keine Interessenkonflikte geben. Aber gewisse Aktivitäten, gerade in Wissenschaft und Kultur, sollten weiterhin möglich sein. Der Rektor soll nicht nur im Büro sitzen. Er braucht ein Netzwerk, sonst kann er seine Aufgabe gar nicht erfüllen.
Und die Professoren?
Es wäre eigenartig, wenn unsere Professoren keinen Nebentätigkeiten mehr nachgehen dürften – der Bezug zur Praxis ist ja gerade eine Stärke der HSG. Ich als Jurist hatte zum Beispiel diverse Mandate für den Bund, interkantonale Organisationen oder für kantonale Departemente, beispielsweise im Bildungsrecht. Selbstverständlich haben die HSG und ich als Professor von dieser Erfahrung profitiert, und ich habe diese den Studierenden weitergegeben.
Ist es nach den jüngsten Affären nötig, dass das Rektorat die
HSG-Institute strenger führt?
Auf diese Frage kann ich momentan keine Antwort geben, das ist Gegenstand der Diskussion über das Universitätsgesetz. Unbestritten ist: Fälle wie die nun publik gewordene Spesenaffäre stellen eine Belastung für die Uni dar. Niemand ist darüber erfreut. Und natürlich sind wir Institutsleiter und damit die Institute bereits vorsichtiger geworden. Doch man muss jetzt aufpassen, dass man nicht jeden Einzelfall reglementiert. Die HSG ist keine Verwaltungsabteilung. Sie erwirtschaftet einen erheblichen Teil ihres Umsatzes selbst. Dafür braucht sie einen unternehmerischen Spielraum. Das verlangt zugleich von jedem Einzelnen ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein. Es gibt Dinge, von denen man weiss, dass man sie nicht macht. Wir dürfen nicht jedes Detail regeln.
Dann halten Sie nichts davon, dass die Politik Ihnen neue Regeln vorschreiben will?
Es ist absolut korrekt und legitim, dass die Politik uns sagt: Ihr müsst etwas unternehmen, so geht es nicht weiter. Aber wir müssen in der Uni selber Lösungen finden. Wir müssen sie schliesslich auch umsetzen. Die Autonomie der HSG ist zentral, auch hinsichtlich der internationalen Konkurrenz mit anderen Universitäten. Wir haben viele gute Leute hier, die sich mit der HSG identifizieren und mit ihren Leistungen den internationalen Ruf der Uni gewährleisten.
Apropos Politik: Die St.Galler Regierung ist in verschiedenen Organen der Uni vertreten. Bildungschef Stefan Kölliker ist Präsident des Universitätsrats, andere Regierungsräte sitzen in Leitungsgremien von Instituten. Passt Ihnen das?
Wir sind hochinteressiert daran, dass die Regierung weiss, wie wir funktionieren. Ob und wie das heutige Gefüge mit dem neuen Unigesetz bestätigt wird oder sich ändert, ist allerdings noch offen.
Viele St.Galler haben ein zwiespältiges Verhältnis zu ihrer Uni. Wie schafft die HSG künftig den Spagat zwischen internationaler Ausrichtung und regionaler Verwurzelung?
Ich denke, viele St.Gallerinnen und St.Galler sind stolz auf die Uni, auch wenn sie es nicht sagen. Es ist nicht selbstverständlich, dass man hier eine Institution mit einem solchen Ruf halten kann. Zürich ist ja nicht weit weg. Wenn wir eine führende Wirtschaftsuniversität sein wollen, dann können wir uns nicht nur regional oder national ausrichten. Die Musik spielt auf der internationalen Bühne. Wenn wir uns hingegen ganz auf das Internationale konzentrieren würden, wäre das auch nicht gut. Dann droht eine Art Heimatverlust. Als St.Galler Bürger ist mir die regionale Verankerung der HSG eine Selbstverständlichkeit.
Wie wollen Sie die Ostschweizer und die Uni näher zusammenbringen?
Die Leute sollen noch mehr zu spüren bekommen, dass wir uns in Lehre und Forschung mit Fragen befassen, die real sind. Dass wir Beiträge leisten zu aktuellen Themen wie Digitalisierung, Klimawandel oder Gesundheitswesen. Darum müssen wir über neue Kommunikationsformen nachdenken, die über die öffentlichen Vorlesungen hinausgehen. Eine Idee wäre zum Beispiel, bestimmte Kongresse weiter zu öffnen. Die Öffentlichkeit soll jedenfalls merken, dass die Uni nicht nur Geld kostet, sondern der Gesellschaft und der Region einen Mehrwert bringt.
Bernhard Ehrenzeller stammt aus dem Kanton Solothurn und hat in Fribourg und Basel Jus studiert. Nach der Habilitation war er unter anderem als persönlicher Mitarbeiter von Bundesrat Arnold Koller tätig. 1997 wechselte Ehrenzeller als ordentlicher Professor für öffentliches Recht an die HSG, ein Jahr später wurde er zum Direktor des Instituts für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis ernannt. Von 2003 bis 2011 amtete er als Prorektor. Am 14. Januar dieses Jahres hat ihn der Universitätsrat zum Rektor ab Februar 2020 gewählt. Ehrenzeller ist verheiratet und Vater zweier Teenager. Die Familie lebt in St. Gallen. (av)