«Man war der Auffassung, Frauen gehören an den Herd»: Historisches Museum St.Gallen forscht über vergessene Künstlerinnen

Das Historische und Völkerkundemuseum St.Gallen plant eine Ausstellung über Ostschweizer Künstlerinnen des 19. Jahrhunderts. Es fehlen aber noch Werke und Dokumente, weshalb das Museum einen Aufruf lanciert hat. Wieso eine Vernissage, wenn man keine Kunstwerke hat? Und warum ist von drei Ostschweizer Künstlerinnen nur so wenig bekannt? Ein Anruf bei Museumsdirektor Daniel Studer.

Julia Nehmiz
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«Mädchen mit Sonnenhut» von Marie Louise Bion. Daniel Studer ersteigerte das Bild 2012 für sein Museum in einer Auktion. (Bild: PD)

«Mädchen mit Sonnenhut» von Marie Louise Bion. Daniel Studer ersteigerte das Bild 2012 für sein Museum in einer Auktion. (Bild: PD)

Zu folgenden drei Künstlerinnen sucht das Historische und Völkerkundemuseum St.Gallen noch Werke und Dokumente (Hinweise an info@hvmsg.ch oder 071 242 06 42):

  • Die in Zürich wohnhaft gewesene St.Galler Bürgerin Marie Louise Bion (1858-1939)
  • Die in Herisau geborene Ida Baumann (1864-1932)
  • Die St.Gallerin Elly Bernet-Studer (1875-1950)

In einem Jahr eröffnen Sie eine Ausstellung, für die Sie jetzt öffentlich nach Werken suchen. Ist das nicht ein bisschen knapp?

Daniel Studer: Nein, gar nicht. Wir haben einiges gutes Material zusammen. Auch über die Ostschweizer Künstlerinnen Marie Louise Bion, Ida Baumann aus Herisau und Elly Bernet-Studer aus St.Gallen konnte ich einiges zusammentragen. Aber bei diesen dreien komme ich jetzt nicht mehr weiter, deswegen unser Aufruf.

Was suchen Sie denn von den drei Künstlerinnen?

Werke!

Sind die verschollen? Von allen dreien?

Zu grossen Teilen, leider ja. Elly Bernet-Studer lebte von 1875 bis 1950, von ihr haben wir nur ein Bild: eine schöne Seelandschaft. Wir haben sämtliche Museen in der Schweiz angefragt, keines hat ein Gemälde von ihr. Dabei war sie eine hervorragende Malerin, mit gutem Strich, gutem Form- und Farbgefühl, die konnte etwas! Da muss es doch noch mehr geben?

Elly Bernet-Studer ist noch nicht so lange tot, warum ist nicht mehr überliefert?

Manchmal ist so ein Nachlass schnell weg. Wenn sich keine Nachkommen darum kümmern, sondern das Atelier auflösen, Bilder verkaufen, Briefwechsel und Tagebücher wegwerfen oder verbrennen, dann wird die Quellenlage dünn.

Und was ist mit Archiven?

Ich habe alle durchforstet und nichts gefunden. Wenn die Künstlerinnen nicht aktenkundig geworden sind, ist dort nichts vermerkt.

Warum gingen so viele Künstlerinnen vergessen?

Daniel Studer, Direktor Historisches und Völkerkundemuseum St.Gallen. (Bild: Ralph Ribi)

Daniel Studer, Direktor Historisches und Völkerkundemuseum St.Gallen. (Bild: Ralph Ribi)

Weil man der Auffassung war, Frauen gehören an den Herd, aber sicher nicht in die Kunst. Im 19. Jahrhundert galt die Kunst von Frauen nichts. Sie durften ein bisschen «mölele». Männer machten «ernsthafte Kunst», über sie wurde berichtet, sie erhielten Rezensionen in der Zeitung. Frauen durften bestenfalls Gebrauchskunst machen, Porträts anfertigen, was nicht so hoch angesehen war, Keramik bemalen, Plakate gestalten. Trotzdem haben es ein paar Künstlerinnen in dieser Zeit geschafft, sich zu behaupten, wie Angelika Kauffmann im 18. Jahrhundert. Doch die meisten gerieten in Vergessenheit, darunter ganz hervorragende. Ihre Werke hängen nicht in Museen, sondern sind in Privatbesitz.

Deswegen jetzt Ihr Aufruf.

Ich mache mir keine Illusionen, dass ein Nachlass auftaucht, Briefe, Skizzenbuch, Bilder. Das wäre ein absoluter Zufall. Aber vielleicht finden sich doch irgendwo Skizzen? Wir haben oft erlebt, dass es hiess, hättet ihr was gesagt, ich hätte noch was gehabt. Oder vielleicht entdeckt jemand, dass das Gemälde in der Stube von der Herisauerin Ida Baumann ist. Ihr Bruder Johannes war übrigens Bundesrat.

Der Bruder Politiker, und die Künstlerin unbekannt?

Ida Baumann lebte von 1864 bis 1932, sie hat sogar im Umfeld des englischen Königshauses Porträts gemalt. Doch wir wissen nicht, wo diese Bilder sind. Es gibt keine Verzeichnisse. Sie hängen wohl in irgendwelchen Schlössern.

Haben die Künstlerinnen mit ihren Namen unterzeichnet?

Oftmals eben nicht, sondern mit Kürzel. Wir werden jedem Hinweis nachgehen.