Vor 34 Jahren hat ein heute 80-Jähriger in Gais ein «gefangenes» Grundstück, eine «Insel» ohne rechtlich gesicherte Zufahrt, gekauft und ein Haus darauf gebaut. Sein Kampf um das Wegrecht beschäftigt nun Gemeinde und Kanton.
GAIS. Über das Grundstück der Neuapostolischen Kirche in Gais fuhr ein 80-Jähriger stets – ohne ein Wegrecht zu haben – zu seiner Garage. Jetzt kämpft er um dieses nicht verbriefte Recht. Vor vier Jahren kaufte ein Ehepaar die verlassene Kirche, baute ein Haus und erstellte anstelle des Kirchenparkplatzes eine Gartenanlage. Dafür braucht es keine Zufahrt mehr. Das Grundstück ist noch immer eine Baustelle, weil der Rentner weiterhin über das Grundstück zu seinem Haus fahren will.
In dem seit vier Jahren schwelenden Rechtsstreit nahm das Ausserrhoder Obergericht einen Augenschein vor: Mit von der Partie waren auch vier Juristen der beteiligten Parteien, darunter auch der Gemeinde Gais. Bisher entschieden der Kantonsgerichtspräsident gegen, der Gemeinderat und das Kantonale Departement Bau und Umwelt zugunsten des Rentners. Das Obergericht entschied in einem Zwischenentscheid zugunsten des Ehepaars.
Die Gemeinde erteilte damals eine Baubewilligung, obwohl der Mann weder damals noch heute über ein im Grundbuch eingetragenes Wegrecht verfügte. Er wurde Mitglied der Neuapostolischen Kirche und fuhr über 30 Jahre lang über deren Parkplatz und Zufahrt zu seinem Haus. Als das Kirchengrundstück verkauft wurde, trat er aus der Religionsgemeinschaft aus. Diese war schon vor Jahren bereit, ihm ein im Grundbuch eingetragenes Wegrecht zu gewähren. Im Gegenzug hätte er die Schneeräumung auf Zufahrt und Parkplatz übernehmen müssen. Das wollte er nicht. Laut Ausserrhoder Baugesetz dürfen Bauten nur auf baureifen Grundstücken erstellt werden. Baureife setzt eine Erschliessung voraus. Erschlossen ist ein Grundstück, wenn eine «für die vorgesehene Nutzung hinreichende, rechtlich gesicherte Zufahrt» vorhanden ist. Dass die Zufahrt des Mannes «rechtlich gesichert» war, ist bestritten.
Das muss jetzt das Obergericht entscheiden. Doch: Das Urteil steht noch aus. Der Fall ist rechtlich vertrackt; die Beratung wird Ende September fortgesetzt.
Das Ehepaar hatte dem Mann mehrere Lösungsvorschläge vorgelegt; er lehnte sie ab und verweigerte Gespräche. Jetzt steht sein Auto unterhalb seines Hauses auf Gemeindeboden; er geht über andere Grundstücke zu seinem Haus.
Inzwischen hat das Ehepaar auf dem früheren Parkplatz eine Gartenanlage angelegt. Neben dem Haus aber klafft eine breite Lücke. Denn die Gemeinde und das Departement Bau und Umwelt sprachen sich zugunsten einer 3,5 Meter breiten Zufahrt zum Haus des Rentners aus – mit einem Landbedarf von rund 200 Quadratmetern. Zudem wären «sündhaft teure» Stützmauern nötig. Die Kosten bewegten sich im sechsstelligen Bereich, sagte der Vertreter des Ehepaars.
Eine alternative Zufahrtsmöglichkeit würde über eine bestehende Quartierstrasse erfolgen, würde wenig Land brauchen, wäre mit geringem baulichem Aufwand und einem Bruchteil der Kosten realisierbar; der Rentner oder die Gemeinde müssten sich lediglich mit dem dortigen Grundstückseigentümer über ein Wegrecht für ein kurzes Stück Zufahrt einigen oder dieses rechtlich durchsetzen. Der Rentner müsste für sein Auto einen Carport oder einen Abstellplatz erstellen, weil er die Garage nicht mehr benützen könnte. Das gehe nicht, sagte der Vertreter der Gemeinde: Das sei eine andere Zone – Wohn- und Gewerbezone (WG2).
Wer die künftige Zufahrt bezahlen soll, ist unklar. Das könnte auch die Gemeinde sein: Sie hat vor über 30 Jahren eine Baubewilligung ohne rechtlich gesicherte Erschliessung erteilt und jetzt deshalb eine teure Erschliessung über das Grundstück des Ehepaars verfügt. Ob der Rentner ihr die Kosten dereinst erstatten wird, ist unklar. Möglicherweise überschritte die Summe die Finanzkompetenz des Gemeinderats. Dann wäre möglicherweise sogar eine Volksabstimmung nötig. Es sei denn, die Gemeinde deklarierte die Kosten als «gebunden» – und umginge damit das Volk.