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Arbon, Kreuzlingen, Weinfelden
Peter Maffays Konzert am Summerdays Festival am Freitagabend war manchmal so klebrig wie befürchtet und oft so berechenbar wie erwartet. Und deshalb genau richtig. Denn sein fast zweistündiger Auftritt mit einer kolossalen Band ist eine perfekte Deutschrock-Zeitreise, um die Pandemie aus der Seele und den Knochen zu verbannen.
Der Einlass am Eingang dauert auch in der Primetime am Freitagabend nur wenige Sekunden. Kurz das Zertifikat gezückt und 30 Gehsekunden später erinnern die letzten Akkorde der doch etwas in die Jahre gekommenen Band Jethro Tull einen bereits daran, wie das damals mit den Festivals funktionierte. Damals, das liegt aus Festivalsicht für das Gros der 10'000 Besucherinnen und Besucher des Summerdays anderthalb bis zwei Jahre zurück. Beim Abschiedssong von Jethro Tull wirkt der Mob ziemlich sicher deshalb noch etwas verkorkst. Abstände werden wie beim Einkaufen vor der Lieblingsbäckerei fast schon Covid-konform und geradezu plangenau eingehalten.
Etwa eine Stunde später scheinen sich die neuronalen Netze zu erbarmen, verbinden sich jene allmählich neu und funken sich zu, dass der knorrige Rocker vorne auf der Bühne doch eigentlich zu einer Trittbrettfahrt ins Leben vor – oder vorausblickend – nach der Pandemie einlädt. Es dauert zwei, vielleicht drei Songs, ehe die Hände in die Höhe schnellen, die ersten Kehlen beim Mitsingen durchgetestet werden.
Peter Maffay, 1.68 klein, asketische 58 Kilogramm leicht und seit Montag 72 Jahre alt, ist mit seiner Band nun auch soundmässig in Arbon angekommen. Ohne Soundcheck ist er mit seiner Fussballelf-starken Band in den Abend gestartet. Gleich zu Beginn bearbeiten vier Gitarren gleichzeitig die Musik-hungrigen Ohren der Gekommenen. Noch ist Maffays erstaunlich unversehrte Stimme von der gewaltigen Wucht seiner hochkarätigen Band zugedeckt. Aber bereits nach einer Viertelstunde klingt das Elftett Tonträger-perfekt, grandios arrangiert, fast schon beängstigend präzise.
Das liegt zum einen natürlich an Maffays Liederkiste, zum anderen aber an seiner All-Star-Band. Wäre Maffays Band eine Fussballelf, so läge die Analogie mit dem FC Bayern geradezu auf der Hand. Er und etliche seiner Langzeitmannschaftskollegen sind Rekordmeister des Deutschrocks, haben mittlerweile über 50 Millionen Tonträger verkauft und 19 Nummer 1-Alben in den letzten gut 50 Jahren abgeliefert.
Maffay, der nie von sich sondern immer von «wir» spricht, ist noch erfolgreicher als etwa Herbert Grönemeyer oder Marius Müller-Westernhagen. Dabei ist sein Konzept wie jenes des FC Bayerns nie experimentell, nie besonders originell und er selber ein rocksolider aber nie ausufernd verspielter Architekt deutscher Popkultur.
Wie unfassbar gut diese Mannschaft klingen kann, so man sie denn frei aufspielen lässt, zeigt sich etwa beim Song «Gelobtes Land», in dem die überragenden Individualisten Raum für ihre instrumentalen Dribblings bekommen. Allen voran Gitarrist Carlton Cole, der nicht nur Peter Maffay seit Urzeiten begleitet sondern auch mit Grössen wie Joe Cocker, Marius Müller-Westernhagen oder Udo Lindenberg die Bühne teilte. Zu wenig beeindruckend? Wie wäre es mit dem zweiten Leadgitarristen, Peter Keller, der unter anderem Songs für a-ha produzierte?
Was sich in dieser kolossalen Starelf an Grammys und Auszeichnungen vereint, könnte auch in eine überperfekte Maschinerie umkippen. Doch das tut sie während der klugen Dramaturgie der beinahe zweistündigen Zeitreise nie. Man glaubt Maffay, dass er und seine Band in den letzten beiden Jahren geradezu einen Entzug an grossen Live-Konzerten durchlebt hätten. Und als er ins Publikum skandiert, doch «laut und wild» zu sein, folgt ihm jenes artig.
Natürlich ist Peter Maffay nicht eben ein Avantgardekünstler. Einige seiner Songs schrammen ziemlich arg an der Schlagerschmerzgrenze. «Du» etwa, sein erster ganz grosser Hit, wirkt mittlerweile arg verstaubt. «Eiszeit», auch nicht eben ganz neu in der Songkiste gelandet, hat die Jahrzehnte hingegen unbeschadet überstanden, strotzt vor poetischer Kraft und der mehrstimmige Chorus treibt einem Wärme und fast schon Glück durch den Bauch.
Natürlich mündet der Abend ins unumgängliche klebrige Finale. Und doch, so soll es sein. Um halb zwölf ist die Pandemie zumindest für fünf Minuten komplett ausgesperrt. Arme umschlingen sich, und keine innere Zensur hält einen davon ab, «über sieben Brücken musst du gehen» in den sternenklaren Himmel zu schicken. Für einen Moment ist zumindest Arbon in der Normalität angekommen – im Davor.