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Ostschweiz
Arbon, Kreuzlingen, Weinfelden
Am Wochenende erfolgte, mit einem Jahr Verspätung, das Jubiläumskonzert zu Ehren Armin Schiblers (1920–1986). Das Orchester Divertimento Kreuzlingen-Konstanz spielte in bravouröser Prägnanz zwei seiner Werke in gut besuchten Konzerten in Konstanz und Kreuzlingen.
Die «kleine konzertante Suite» aus dem Jahr 1955, für Jugendorchester komponiert, aber alles andere als «einfach» oder «leicht», begeisterte mit Melodien und Klangfarben, pendelnd zwischen Schmerz und Wohllaut. Armin Schibler ist 1920 in Kreuzlingen geboren und aufgewachsen, seine internationale Karriere begann ab 1950, er war zeitweise der am meisten gespielte Schweizer Komponist im In- und Ausland. Schon früh genügten ihm weder die klassische Musiksprache noch die nach dem Zweiten Weltkrieg international propagierte Zwölftontechnik, um die Dynamik der Gegenwart zum Ausdruck zu bringen und die Herzen der Menschen zu erreichen, er wählte – weil die Zwölftonmusik nach seinem Urteil das Eigentliche der Musik quasi liquidierte – einen eigenen Weg. Er erweiterte seine Musiksprache mit Klängen und Rhythmen aus dem Jazz, Blues, der Pop- und Weltmusik: Crossover, ohne dass es diesen Begriff damals schon gab, immer eingebettet in seinen unverwechselbaren Personalstil.
Die Werkauswahl der beiden Konzerten in Konstanz und Kreuzlingen brachte dies bestens zum Ausdruck: Schwelgt die Suite von 1955 noch in Klängen, erweitert sich beim Konzert für Schlagzeug, Klavier und Streichorchester von 1962 mit dem Schlagzeug die rhythmische Komponente. Das Werk ist sowohl in der Besetzung wie auch im musikalischen Timbre aussergewöhnlich. Der letzte Satz, eine Variation über den Spiritual «Wenn ich sterbe, will ich leicht sterben», verwandelt das Thema Tod in Musik auf geniale Weise. Weder Dur noch Moll genügen, um diese dunkle Seite des Daseins zum Ausdruck zu bringen. Bereichert durch afroamerikanische Rhythmen und Jazz, bringt das Schlagzeugkonzert von tieftraurig bis triumphierend, von wehklagend bis von drängendem Beat gejagt die ganze Palette musikalischer Möglichkeiten zum Ausdruck. Traumsatte Klänge von Trauer und Verlorenheit verwandeln sich in den Jubel, noch am Leben zu sein und dem Tod zu trotzen, ekstatisches Juchzen zerfällt, erneut die Sehnsucht nach dem Kern der Dinge zu umkreisend.
Im Orchester tauschen sich die Rollen: Die Streicher übernehmen den hämmernden Beat: harte Rhythmen als der Puls des Herzens und des Todes. Gejagt, getrieben – wie könnten wir da nicht mitschwingen, da wir seit fast zwei Jahren unter dem Joch von Corona leben? Die sechs Schlagzeuger jedoch übernehmen den elegisch-lyrischen Teil. Kurz: eine Musik wie Urwald – vital, stark und sinnlich und von unerhörter, weil genuin Schiblerschen Klangfülle. Schibler beschreibt die Kraft von Musik in einer Notiz im April 1958: «Musik offenbart das Geheimnis, ohne es preiszugeben, Blumen und Tieren gleich. Die grossen Fragen des Woher und Wohin beantwortet sie, indem sie uns in ihr Geheimnis hineinnimmt und erlöst aus der Befangenheit von Zeit und Raum. Wo Musik resigniert und verstummt, da wüssten auch die Götter nicht weiter.»
Dirigent Mirco Capra, Solisten, Laien und Berufsmusiker des Orchesters Divertimento wuchsen über ihre Grenzen hinaus und zeigten in einer grossartigen Leistung, was Musik vermag. Musik, die der Vergänglichkeit standhalten wird – von den Ufern des Bodensees.
* Die Autorin Dr. Gina Schibler ist die Tochter von Armin Schibler.