KESB-PROZESS: Brandrede gegen «Brandstifter»

In einer sechsstündigen Verhandlung warf der Anwalt von Stadt Rapperswil-Jona und Kesb-Präsident Walter Grob den «Obersee-Nachrichten» journalistische Brandstiftung vor. Deren Anwalt wehrte sich für die Pressefreiheit.

Elvira Jäger, Conradin Knabenhans
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Adrian Bachmann, Anwalt der Stadt (stehend), findet klare Worte gegen Bruno Hug (Mitte) und Mario Aldrovandi (rechts). Kesb-Präsident Walter Grob (links aussen) hört gespannt zu. (Bild: Illustration: Robert Honegger)

Adrian Bachmann, Anwalt der Stadt (stehend), findet klare Worte gegen Bruno Hug (Mitte) und Mario Aldrovandi (rechts). Kesb-Präsident Walter Grob (links aussen) hört gespannt zu. (Bild: Illustration: Robert Honegger)

Elvira Jäger, Conradin Knabenhans

ostschweiz@tagblatt.ch

Die Verhandlung am Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland beginnt mit einer Entschuldigung. Sein dreistündiger Vortrag werde für die Anwesenden eine Zumutung sein, sagt der Anwalt von Stadt und Kesb-Präsident Walter Grob. Aber die dreijährige Kampagne der «Obersee-Nachrichten» (ON) habe so viel Häme und Spott über die Kläger ausgeleert, dass es an der Zeit sei, dass diese einmal ausführlich zu Wort kämen.

Für Anwalt Adrian Bachmann handelt es sich um eine der übelsten Kampagnen der jüngeren Schweizer Mediengeschichte. ON-Chefredaktor Bruno Hug bezeichnet er als Brandstifter, der genau wisse, wie man die Volksseele zum Kochen bringe. Walter Grob habe das Pech gehabt, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und perfekt ins Schema vom bösen Funktionär zu passen. Woche für Woche habe die Gratiszeitung Vorwürfe auf die Leser eingehämmert, die von den Kesb-Aufsichtsorganen dementiert worden seien. Die Gratiszeitung habe einfach verschwiegen, was nicht ins Bild gepasst habe.

Für den schlauen Geschäftsmann Hug habe sich die Kampagne ausbezahlt, argumentiert Anwalt Bachmann weiter. Dank ihr habe er die Auflage der ON halten und deren Online-Aktivitäten bekanntmachen können. Gegen den Kesb-Präsidenten und seine Mitarbeiter hingegen habe die Kampagne eine feindliche Stimmung geschaffen, die sogar zu Morddrohungen geführt habe. Der Klägeranwalt zieht auch die Verbindung zum städtischen Wahlkampf 2016, in dem Bruno Hug zunächst selber als Stadtpräsident kandidiert hatte. Indem die Zeitung damals verschiedene Exponenten persönlich angegriffen habe, sieht er die Stadt legitimiert, auf Persönlichkeitsverletzung zu klagen. Kernpunkt in Bachmanns Vortrag ist die Analyse von einem Dutzend Kesb-Fällen, mit denen die ON über Monate hinweg Schlagzeilen generierten. Die minimalsten journalistischen Standards seien dabei ausser Acht gelassen und die Berichterstattung sei nach Belieben manipuliert worden, sagt Adrian Bachmann.

Mit unlauteren Mitteln Skandale gezimmert

Das ON-Muster beschreibt er so: «Man muss nur genug Lügen verbreiten, dann bleibt sicher etwas hängen.» Aus alltäglichen Kesb-Fällen habe die Zeitung Skandale gezimmert und dabei auch zu unlauteren Mitteln gegriffen. So habe Bruno Hug einem Kind bei seinen Pflegeeltern aufgelauert und es ausgefragt und im gleichen Fall sogar ein bizarres Interview mit sich selber geführt. In einem andern Fall habe die Zeitung ihren Lesern einen bekannten Kriminellen unter falschem Namen als einfachen Büezer und Opfer des angeblich arroganten Akademikers Walter Grob präsentiert. «Die Leser wussten von all diesen Machenschaften nichts und nahmen die Geschichten für bare Münze», sagt der Klägeranwalt. Die Zeitung sei nicht einmal davor zurückgeschreckt, einen Zusammenhang zwischen der Kesb und dem Suizid eines Rentners zu suggerieren. Bruno Hug inszeniert sich laut Bachmann als weisser Ritter und schreckt selbst vor «lächerlichen Wallraff-Methoden» nicht zurück, wenn er sich etwa inkognito in eine psychiatrische Klinik schleiche, um dort ein angebliches Kesb-Opfer zu besuchen.

In den Leserbriefspalten, vor allem aber auf Facebook, wurden die Kommentare im Lauf der Kampagne immer gehässiger. Walter Grob und die Stadt haben 300 Persönlichkeitsverletzungen eingeklagt, laut Anwalt nur die schwersten. «Es hätten auch 1000 sein können», sagt er vor Gericht. Zwar sind auf Facebook inzwischen einige Einträge gelöscht worden, aber das genüge bei weitem nicht. Dass beleidigende Äusserungen zu löschen seien, stehe im übrigen in den Richtlinien des Verlagshauses Somedia, zu dem die ON gehören.

Während Bachmann sein Plädoyer ruhig und mit dem Blick stets zu den Richtern vorträgt, setzt der Anwalt der «Obersee-Nachrichten», Daniel Glasl, auf eine andere Strategie. Er nutzt den Gerichtssaal als Minibühne und spricht sowohl zu den Richtern als auch zu den anwesenden Journalisten und Zuhörern. Auch Bruno Hug selbst passt sein Verhalten an. Während Bachman spricht, tippt der Chefredaktor der ON unaufhaltsam in seinen Computer, bei Glasls Plädoyer lässt er sich in den Stuhl fallen und lehnt sich mit verschränkten Armen zurück.

Glasl setzt auch inhaltlich andere Schwerpunkte. Er argumentiert juristisch, es handle sich nicht um eine einzelne Klage, sondern um sechs. Jene von Grob an die ON, Hug und Aldrovandi sowie jene der Stadt an die drei Beklagten. Die Klagen seien zu einem Einheitsbrei zusammengefügt und die einzelnen Ansprüche völlig unzureichend begründet. Kurz zusammengefasst: Die Stadt darf nicht klagen, weil sie gar nicht betroffen ist. Grob ist nur bei wenigen Artikeln klageberechtigt, weil er persönlich nicht überall beeinträchtigt ist: «Nur weil sich ein Arbeitnehmer mit seiner Firma identifiziert, ist er in seiner Persönlichkeit nicht betroffen, wenn die Firma kritisiert wird.» Glasl spricht sogar – hypothetisch – der Kesb Linth das Recht ab, klagen zu können. Die Kesb habe keine eigene «Rechtspersönlichkeit». Diese Aussage quittiert der Anwalt der Stadt in seiner Replik mit den Worten: «Wer soll sich zur Wehr setzen, wenn nicht Walter Grob und die Stadt Rapperswil-Jona?»

Mustergültige Quellen und pointierte Meinungsfreiheit

Überhaupt lässt ON-Anwalt Glasl kein gutes Haar an der Klage der Stadt. Die Berichte in der Gratiszeitung seien zu 100 Prozent wahr. Die Quellenlage sei geradezu «mustergültig». Und: Die faktengetreue Berichterstattung sei im öffentlichen Interesse. «Die Meinungsäusserungsfreiheit erlaubt, sich pointiert zu äussern.» Alle Kommentare in der Zeitung seien «gemessen am dokumentierten Sachverhalt noch relativ zurückhaltend». Später ergänzt Glasl, die Artikel hätten den Kesb-Betroffenen ein Gesicht gegeben. Es stehe zudem nirgends geschrieben, dass ein Medienhaus ausgewogen berichten müsse.

In einem einzigen Punkt gibt Glasl den Klägern recht: Beim publizierten Lohn von Grob habe es in den ON «eine unerhebliche Differenz gegeben», was jedoch keine Persönlichkeitsverletzung sei. Anwalt Bachmann hatte in seinem Plädoyer genüsslich erzählt, wie die Anwälte der ON – Glasl ist der dritte, der sich mit der Klage auseinandersetzt – den zu hoch publizierten Lohn rechtfertigten. Eigentlich verdiene Grob 133000 Franken im 80-Prozent-Pensum, die ON argumentierten jedoch, man müsse immer das 100-Prozent-Pensum angeben.

In seinem 90-minütigen Plädoyer verwendet Glasl viel Zeit darauf, zu erklären, weshalb die ON für Inhalte von Dritten auf ihrer eigenen Facebook-Seite nicht verantwortlich seien. Es müsse abgeklärt werden, ob das Nichteingreifen in der Kommentarspalte als Mitwirkung zur Persönlichkeitsverletzung zähle. «Wenn eine kleine Regionalzeitung hier permanent alles Kritische prophylaktisch prüfen müsste, kann sie einpacken.» Facebook-Zensur sei nicht die Aufgabe einer Zeitung, zumal der Betroffene Mittel und Wege habe, sich direkt um die Entfernung zu kümmern. Grob habe mit seinen Strafanzeigen gegen Kommentatoren dies ja auch getan.

Bleibt für Glasl noch eine Frage zu klären: Handelt es sich bei der Kesb-Berichterstattung um eine widerrechtliche Medienkampagne? Nein, ist sich der ON-Anwalt sicher. Für eine Kampagne brauche es stete Wiederholung der gleichen Verunglimpfung. «Die ON-Berichte waren neu und gut recherchiert.» Bachmann nimmt dies dankbar auf. «Was bräuchte es denn noch, um von einer Medienkampagne zu sprechen?» Drei Jahre dauere die Artikelserie nun schon. Glasl hat dafür nur ein müdes Lächeln übrig. Der Vorwurf der Fake-News sei ein Kampf gegen die Pressefreiheit. «Die Kesb arbeitet immer noch – und deshalb gibt es immer noch neue Kesb-Fälle.»

Das Urteil wird in der kommenden Woche schriftlich eröffnet.