Das Spesengebaren einzelner Mitarbeitender der Universität St.Gallen hat dem Kantonsparlament den Kragen platzen lassen. Es erhöht den Druck – und will Verantwortlichkeiten und disziplinarische Massnahmen dringlich geklärt haben.
Erschütternd, schockierend, unbegreiflich: Die Chefinnen und Chefs der Fraktionen im Kantonsparlament sind sich für einmal einig: So kann es an der HSG nicht weitergehen. «Die bisherigen Einzelfälle von Verfehlungen bei Spesenabrechnungen waren im Vergleich zu den jüngsten Enthüllungen geradezu kleine Fische», sagt Andreas Widmer, Fraktionspräsident von CVP und Grünliberalen. Es habe sich an der Universität St. Gallen scheinbar «eine Praxis entwickelt, die nicht nur den Reglementen zuwider läuft, sondern auch jegliche Ethik und Moral vergessen lässt».
Auslöser für die Verärgerung zahlreicher kantonaler Parlamentarier sind die Erkenntnisse der kantonalen Finanzkontrolle (Ausgabe vom 16. Februar). Ihr Bericht legt den Schluss nahe: Ein lockerer bis fahrlässiger Umgang mit Spesen gehört an vielen HSG-Instituten zum Alltag. Die Finanzkontrolle hatte 2017 bei allen Instituten stichprobenweise Spesen- und Honorarrechnungen kontrolliert und war dabei auf etliche Mängel gestossen. Die Liste reicht von unsauber abgerechneten Geschäftsreisen über Erstklassflüge bis zu reglementswidrigen Honorarauszahlungen.
Beat Tinner, Fraktionschef der Freisinnigen, nimmt kein Blatt vor den Mund. Er spricht von «kollektivem Führungsversagen». Auf die Frage nach dem Hauptverantwortlichen zögert er nicht: «Das ist SVP-Regierungsrat und Bildungschef Stefan Kölliker.» Tinner schont aber auch die Dozierenden nicht: «Wir dürfen erwarten, dass Grundsätze, die in den eigenen Vorlesungssälen gelehrt werden, von den Professorinnen und Professoren auch eingehalten werden.» Der Bericht der Finanzkommission erwecke allerdings den Eindruck, dass «gewisse Personen an der HSG jeden Bezug zu einem sorgsamen Umgang mit Steuergeldern verloren haben».
Und auch Laura Bucher, Co-Fraktionspräsidentin von SP und Grünen, erklärt auf Anfrage: «Es ist erschütternd zu lesen, wie an der Universität – einer mit öffentlichen Geldern des Kantons finanzierten Institution – mit Spesen umgegangen wird. Es zeigt sich, dass die internen Reglemente lückenhaft und untauglich sind , deren Einhaltung offensichtlich nicht wirksam kontrolliert wird, oder gar keine Kontrolle besteht.»
Seit Anfang Monat gelten an der HSG ein verschärftes Spesenreglement und ein strengerer Visierungsprozess. So wurden die Spesenpauschalen abgeschafft, auch für Auslandreisen. Bislang konnten etwa bei Kongressteilnahmen Verpflegungspauschalen in Rechnung gestellt werden. Neu müssen für sämtliche Spesen die Originalbelege vorgelegt werden, und die verwendeten Verkehrsmittel und Hotelübernachtungen präziser dokumentiert werden. Und: Bei Abweichungen muss vorgängig eine Genehmigung eingeholt werden.
Vor einem Monat haben die Verantwortlichen der Universität über diese Sofortmassnahmen informiert. Damals schien klar: Der Auslöser für die Verschärfungen ist der Spesenfall am Institut für Finanzwissenschaft, Finanzrecht und Law and Economics (IFF); dort hat ein inzwischen freigestellter Rechtsprofessor mutmasslich massiv zu viel Spesen bezogen. Nachdem unserer Zeitung nun der Bericht der Finanzkontrolle vorliegt, erscheinen die damaligen Informationen in etwas anderem Licht.
Auslöser dürfte nicht nur der bis dahin einzige öffentliche Spesenfall gewesen sein, sondern wohl auch das Spesengebaren an anderen Instituten. «Die Methode ist immer dieselbe: gut Wetter machen», hatte SP-Parteipräsident Max Lemmenmeier die Sofortmassnahmen kommentiert. In der jüngsten Ausgabe der Parteizeitung «Links» doppelt er nach: Die Massnahmen seien «angesichts der vielen anstehenden Probleme ungenügend und wesentlich darauf ausgerichtet, die Öffentlichkeit etwas zu beruhigen».
Ob sich die Bevölkerung allerdings derart rasch beruhigen lässt, zweifelt die SP an. Sie war es denn auch, die am Montag im Parlament eine Verschiebung der zweiten Lesung der Campus-Vorlage beantragte. Und damit auch eine Verschiebung der Volksabstimmung über die geplante HSG-Erweiterung. Rhetorisch fragt Lemmenmeier: «Weshalb soll die Sekretärin in Sargans mit 4000 Franken Monatslohn der Millionenvorlage für eine Institution mit einem derartigen Spesengebaren zustimmen?»
Das Unverständnis und die Wut über die Vorfälle und über die fehlende Transparenz sei in weiten Teilen der Bevölkerung spürbar. Die Informationen gelangten «nur scheibchenweise» an die Öffentlichkeit, kritisiert auch der ehemalige Fraktionschef von SP und Grünen, Peter Hartmann.
«Es gibt zu wenig Signale, dass die Probleme tatsächlich erkannt und auch angegangen werden.»
Auf dieser Basis sei die Abstimmung über die Erweiterung der HSG gefährdet – «und das wollen wir verhindern». Die Universität müsse «nun zügig aufzeigen», was alles unternommen werde, fordert Laura Bucher. Es brauche nun zwingend einen Kulturwandel an der HSG.
Peter Boppart, Präsident der vorberatenden Kommission, kann seinen Ärger über die immer neuen Verfehlungen einzelner Professorinnen und Professoren nicht verbergen: «Die HSG ist kein Selbstbedienungsladen.» Und: «Geldgier ist ein schlechter Berater.»
Wer angehende Führungskräfte ausbilde, müsse über einen «einwandfreien Charakter» verfügen, so Boppart. An die Adresse der Dozierenden auf dem Rosenberg sagt er: «Erden Sie sich wieder einmal. Gehen Sie wieder einmal unter die Leute – unter jene, die 4000 oder 5000 Franken verdienen.» Für Boppart ist klar: «Wir schaffen mit einer Verschiebung der Vorlage kein Vertrauen.» Und er warnt: Die Bedürfnisse der Studierenden und «die Geldgier und das unterirdische Benehmen einzelner Professoren» seien zwei paar Schuhe. Das Parlament lehnt den Antrag der Linken mit 87 gegen 23 Stimmen ab.
Bildungschef Stefan Kölliker gesteht den Kritikern zu: «Ich gebe Ihnen recht, mit den getroffenen Sofortmassnahmen ist es nicht getan.» Dann spricht auch der Präsident des Universitätsrats Klartext: Den Dozierenden gehe «die Sensibilität im Umgang mit selbsterwirtschaftetem Geld ab». Das sei ein Problem, so Kölliker. Und weiter:
«Wir müssen Klartext mit dem Lehrkörper reden. Es muss ein Kulturwandel eintreten.»
Das Spesenreglement gelte für sämtliche Mitarbeitenden der HSG – unabhängig von Funktion und Anstellung. Köllikers Partei, die SVP, will in einem dringlichen Vorstoss die Verantwortlichkeiten und die Aufsicht der HSG-Institute geklärt wissen. Die Frage, ob sie damit den Bildungschef aus dem Fokus nehmen wolle, verneint Fraktionschef Michael Götte. «Er wird nicht ausgenommen. Das wäre falsch.» So wie auch die Uniräte der SVP nicht geschont würden.
Es gehe darum, die Verantwortlichkeiten «auf allen Ebenen» zu klären. Auch die Fraktionen von FDP, CVP/GLP sowie SP/Grüne werfen nach den publik gewordenen Erkenntnissen der Finanzkontrolle dringliche Fragen auf – nach allfälligen disziplinarischen und personalrechtlichen Massnahmen und nach der Führungsrolle des Bildungsdepartements. Das Parlament entscheidet heute über die Dringlichkeit der Vorstösse.