FALL THIELEMANN: Interessenkonflikt an der Kaderschmiede

ST.GALLEN. Der «Fall Thielemann» zeige, das Stellungnahmen zu heiklen Themen an der HSG nicht erwünscht seien, behaupten Kritiker. Die Uni selber widerspricht. Für Alt-Rektor Rolf Dubs braucht es heute die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und HSG.

Zoé Baches/Nzz Online
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HSG im Umbruch (Symbolbild: Urs Jaudas)

HSG im Umbruch (Symbolbild: Urs Jaudas)

Mitte März des letzten Jahres war es, als Ulrich Thielemann, Wirtschaftsethiker an der Universität St. Gallen (HSG), vor dem Finanzausschuss des deutschen Bundestags die Steuerhinterziehung und das Bankgeheimnis der Schweiz heftigst kritisierte. Unter anderem warf Thielemann den Exponenten des Finanzplatzes und den politisch prägenden Köpfen der Schweiz ein fehlendes Unrechtsbewusstsein zu diesen Themen vor.

Seine Aussagen führten zu einer wahren Flut an Kritik von Seiten Politik und Wirtschaft. Der Rektor der HSG, Ernst Mohr, liess sich dazu hinreissen, Thielemanns Aussagen öffentlich als «einen groben Fehler» zu bezeichnen, die dem Image der Universität geschadet hätten.

Etwas mehr als ein Jahr später ist bekannt, dass das Institut für Wirtschaftsethik ab Februar 2011 von den zwei neu berufenen Professoren Thomas Beschorner und Florian Wettstein geführt wird, die den altershalber zurücktretenden Prof. Peter Ulrich ablösen. Thielemann wird Ende Juli die HSG verlassen. Sein Name stand nicht auf der Nominiertenliste für einen der Direktorenposten, dies obwohl Thielemann immerhin neun Jahre lang Vizedirektor des Instituts war. Bis heute ist unklar, ob seine Aussagen zum Bankgeheimnis der eigentliche Grund für das Ende seiner Karriere an der HSG waren.

Gibt es Einschränkungen für Dozenten?
Thielemann selber wollte gegenüber NZZ Online keine Stellung nehmen. Er führte aus, ab August in Berlin tätig zu sein, wo er einen neuen wirtschaftsethisch orientierten Think Tank aufbauen will.

Gibt es an der HSG irgendwelche Einschränkungen für die Dozierenden, öffentlich Stellungnahmen zu heiklen Themen abzugeben? Es scheint schliesslich nicht ganz abwegig, dass ein Wirtschaftsethiker zum Thema Bankgeheimnis eine ganz andere Meinung hat als beispielsweise ein Bankenprofessor. Auch scheint es Sinn zu machen, dass ein Wirtschaftsethiker einer renommierten Universität genau zu derartigen Fragen Stellung nimmt.

Die HSG selber hält sich auch mehr als ein Jahr nach dem Vorfall bedeckt zum «Fall Thielemann» und merkt einzig an, dass das Auswahlverfahren auf völlig korrektem Weg stattgefunden habe. Zudem betont die HSG «seit jeher die Pluralität unterschiedlicher Positionen und Meinungen zugunsten des akademischen Austauschs» hochzuhalten. Stellungnahmen zu Themen öffentlichen Interesses «im Sinne der Freiheit von Forschung und Lehre» würden begrüsst, wie ja die zahlreichen Äusserungen von HSG-Experten zu unterschiedlichsten Themen und mit unterschiedlichsten Positionen in den Medien zeigen würden.

«Realität sieht anders aus»

Vorschriften darüber, was ein Universitätsdozent in der Öffentlichkeit sagen dürfe und was nicht, gebe es keine expliziten, bestätigt ein HSG-Dozent, der nur anonym Stellung beziehen will. Die Praxis sehe aber anders aus. «An der HSG schätzt man gewisse öffentliche Stellungnahmen von Seiten Universitätsdozierenden nicht». Der Grund dafür sei, dass öffentliche Aussagen zu heiklen Themen wie Managervergütungen, Bankgeheimnis oder Gewinnmaximierung «die Kunden» vergraulen könnte. Das wollten viele nicht riskieren.

Grösster Selbstfinanzierungsgrad der Schweiz
Tatsächlich verfügt die HSG über ein Modell, das die einzelnen Institute dazu auffordert, «Kunden» zu haben. Die Praxisnähe der Ausbildung, Forschung und Weiterbildung an der HSG hätten sehr viel mit dem Institutionskonzept zu tun, bestätigt die HSG-Pressestelle. Die gut 40 Institute, Forschungsstellen und Centers tragen massgeblich dazu bei, dass «die HSG den grössten Selbstfinanzierungsgrad aller Universitäten in der Schweiz hat». Über 50 Prozent des HSG-Gesamthaushaltes wird über Drittmittel finanziert – die restlichen Beiträge stammen vom Kanton St. Gallen, anderen Kantonen, aus denen Studierende an die HSG kommen sowie vom Bund.

«Die dezentralisierte Struktur der HSG erlaubt den Instituten, sich grösstenteils selbst zu finanzieren», so die HSG weiter. Die Budgets müssen die Institute über Forschungsprojekte, Beratung oder Weiterbildungsangebote abdecken, sprich, die Professoren und Dozenten finanzieren sich auch über Kundenaufträge in Form von Gutachten, Bewertungen und so weiter.

Platz für Interessenkonflikte
Das bietet natürlich Platz für Interessenkonflikte. Was, wenn ein Professor, der ein Gutachten für eine grosse Bank zum Thema Managerlöhne anfertigt, in der Öffentlichkeit eine Aussage zu diesem Thema macht, das nicht im Sinne der Bank liegt? Dass der sehr hohe Grad der Fremdfinanzierung zu Interessenkonflikten führen kann, wird öffentlich auch von einigen wenigen amtierenden HSG-Professoren kritisiert. Dazu gehört Rainer Schweizer. Der HSG-Professor für öffentliches Recht moniert, dass die hohe Selbstfinanzierung der Universität der Forschung nicht nur zuträglich sei. Denn es gebe Forschungsgegenstände, welche die Wirtschaft nicht interessierten – und die sie daher auch nicht finanziere. Der Staat müsse deshalb mehr Mittel für unabhängige Forschung bereitstellen, wie Schweizer in der «Südostschweiz» im Juni 2009 ausführte.

«Die HSG-Mission scheint sich dann zu erfüllen, wenn man in möglichst nahem Kontakt mit Unternehmen und Managern möglichst grosser und erfolgreicher Unternehmen tritt», so der HSG-Dozent. Ein anderer verweist zudem darauf, dass es etwas befremdlich anmute, wenn eine Universität ihr Weiterbildungsprogramm unter das Motto stelle «In unserem Programm dreht sich alles um Ihren Erfolg», so die Werbung für einen Executive MBA an der HSG.

«Wert auf präzise Spielregeln»
Gegenüber NZZ Online betont die HSG, die Universität sei sich bewusst, dass eine Zusammenarbeit mit Sponsoren oder externen Auftraggebern auch heikel sein könne. Es werde deshalb Wert auf präzise Spielregeln und vertragliche Regelungen gelegt. Das oberste Gebot der Uni sei, dass die Freiheit von Forschung und Lehre vollumfänglich, auch vertraglich, garantiert sein müsse. «Wir haben auch schon privatwirtschaftliche Sponsoring-Angebote abgelehnt, weil diese die Freiheit der Forschung einschränken wollten.»

Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Uni
Dass es sich beim speziellen St. Galler-Modell in der Praxis letztlich um eine Balance zwischen der Nähe zur Wirtschaft und einer unabhängigen Forschungsumgebung handelt, betont auch Rolf Dubs, Alt-Rektor der HSG. «Die Führung der Universität muss sich auf wirtschaftliche Effizienz ausrichten. Etwas anders ist angesichts des Geldmangels gar nicht mehr vertretbar». Allerdings heisse das nun nicht, dass «wir finanziell von der Wirtschaft abhängig werden dürfen». Doch bedürfe es im Interesse des Fortschrittes den Fakultäten mit Wirtschaftsbezug die Zusammenarbeit zwischen der Wirtschaft und der Uni.

«Irgendwann verlieren sie das Gesicht»
Zusammenarbeit heisse aber nicht Abhängigkeit und Unterwürfigkeit, warnt Dubs, denn die «Unabhängigkeit von Professoren ist für mich eine Bedingung sine qua non». Natürlich gebe es immer wieder Leute, Opportunisten und Geldverdiener, die dieses Prinzip verletzen würden, die also beispielsweise ein Gefälligkeitsgutachten abliefern oder aber sich in der Öffentlichkeit mit heiklen Stellungnahmen zurückhalten würden.

Dubs ist aber überzeugt, dass derartige Vorgänge nicht allzu lange dauern können. Irgendwann würden so Handelnde das Gesicht verlieren und von seriösen Unternehmungen gar nicht mehr als Gutachter angefragt werden. Er zeigt sich zudem überzeugt, dass solche «Anpässler» auch universitätsintern kritisiert würden. Aber auch hier gebe es natürlich «keine Regel ohne Ausnahme».

«Fall Thielemann nicht gut gehandhabt»
Dubs verweist darauf, dass der Fall Thielemann kein geeignetes Beispiel sei, um auf die ganze HSG zu schliessen. Diesen Fall habe man von Seiten der HSG nicht gut gehandhabt. Das Ganze hätte einfacher und ohne Schaden erledigt werden können, merkt Dubs an.

Dass die spezielle Situation der HSG Fläche bieten kann für Interessenkonflikte wurde, wenigstens einer breiteren Öffentlichkeit gegenüber, in den letzten Jahren immer fast nur rund um Themen der Wirtschaftsethik bewusst. Der Grund dafür sei, so der Dozent, der ungenannt bleiben möchte, dass man es sich an der HSG kaum je erlaube, wirtschaftskritisch zu denken oder gar zu reden.

«BWL-Professoren denken kapitalistisch»
Dubs will das so nicht gelten lassen. Er verweist darauf, dass man nicht die Institution als Ganzes beurteilen könne. «In der Tendenz sind die Professoren im Bereich Betriebswirtschaft Menschen, die wirtschaftsorientiert denken und kapitalistisch ausgerichtet sind. Da kommt man zu vielen Themen gar nicht in einen Zielkonflikt, wie das bei der Wirtschaftsethik der Fall ist». Dubs betont, es sei entscheidend zu wissen, wofür ein Professor der BWL letztlich stehe. Handle es sich um einen Professor, der sich für die kurzfristige Gewinnmaximierung begeistere oder aber um jemanden, der eher einen Standpunkt wie er selber einnehme?

«Ich bezeichne mich auch als Kapitalisten, aber als einen langfristig orientierten, der einen Gewinn unter Nebenbedingungen anstrebt», so Dubs. Er ist der Meinung, dass definiert werden muss, wo bestimmte Sachen aus einer Verantwortung heraus erfüllen werden sollen und diese dann auch wahrnehmen – selbst wenn es zu Lasten des Gewinns geht.

«Villiger macht seinen Job nicht gut»
Dubs führt als Beispiel an, dass er in einem Unternehmen, wo er als Präsident amtet, durchsetzte, ausnahmsweise den Jahresbonus im umgekehrten Verhältnis zum Lohn auszuzahlen. Der oberste Chef erhielt also den kleinsten, der am niedrigst Chargierte den höchsten Bonus ausbezahlt. Es gab keinen grossen Widerstand, merkt Dubs an. Solche Ideen müssten gedacht werden. «Für mich macht beispielsweise Kaspar Villiger seinen Job als UBS-Präsident nicht gut, weil er offensichtlich den Mut nicht hat, solche Ideen überhaupt einmal vorzuschlagen», lässt Dubs dann auch sofort der freien Meinungsäusserung der Uniprofessoren Taten folgen.

Wirtschaftsethik-Lehrstuhl unvereinbar mit HSG?
Das es allerdings die Wissenschaft der Wirtschaftsethik an einer Universität wie St. Gallen tatsächlich schwerer haben könnte als an anderen Universitäten, daraus macht Dubs dann letztlich auch keinen Hehl. «Ich vertrete seit langem die Auffassung, dass Lehrstühle der Wirtschaftsethik die Probleme nicht lösen, weil sie rasch abstrakt werden und – keine Regel ohne Ausnahme – in Wirtschaftsfragen nicht mit den echten Zielkonflikten umgehen können.» Es sei deshalb zwingend, dass wirtschaftsethische Fragen von den Fachdozierenden in ihren Fachvorlesungen mit eingebaut werden müsste.