KOSOVO: «Der Frieden ist noch nicht gesichert»

Vor Weihnachten traf eine Delegation die Schweizer Angehörigen der Kfor-Truppe. Sie nahm einen Augenschein in zwei kriegsgeplagten Ländern. Im Folgenden schildert Nationalrat David Zuberbühler seine Eindrücke der Reise.

David Zuberbühler
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Die versammelte Swisscoy-Truppe anlässlich der Weihnachtsfeier. (Bild: pd)

Die versammelte Swisscoy-Truppe anlässlich der Weihnachtsfeier. (Bild: pd)

David Zuberbühler

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Am 22. und 23. Dezember hatte ich die Ehre, den abtretenden Chef der Armee, Korpskommandant André Blattmann, bei seinem traditionsgemässen Weihnachtsbesuch bei den Angehörigen der Schweizer Armee im Friedensförderungseinsatz im Kosovo (Kfor) und in Bosnien-Herzegowina (Eufor) zu begleiten. Für mich als Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission war es eine gute Gelegenheit, mir von der Situation im jüngsten Staat Europas ein Bild zu machen. Am frühen Donnerstagmorgen flog unsere Delegation, bestehend aus dem Chef der Armee, Ständerätin Géraldine Savary, Ständerat Alex Kuprecht, Oberst i Gst Fridolin Keller (Kdt Swissint) und drei weiteren Armeeangehörigen, mit einem Passagierjet der Luftwaffe ab Bern-Belp in den Kosovo. Nach rund zwei Stunden Flugzeit trafen wir auf dem Flughafen Slatina bei Pristina ein, wo wir gleich im Anschluss im Flughafengebäude durch den nationalen Kontingentskommandanten über den Swisscoy-Einsatz, an dem 235 Armeeangehörige beteiligt sind, informiert wurden.

Ein Super-Puma des Schweizer Luftwaffen-Detachements brachte uns danach in die ethnisch geteilte Stadt Mitrovica im Norden des Landes.

Spannung liegt noch heute in der Luft

Ein Konvoi bestehend aus Puch- und Mercedes-Fahrzeugen mit Schweizer Militär-Schildern und der Aufschrift Kfor brachte uns zum wichtigsten Symbol für den Konflikt zwischen Albanern und Serben im Kosovo: der Hauptbrücke über den Ibar-Fluss. Noch bis Mitte August dieses Jahres war die Brücke aufgrund von Blockaden für den Verkehr unpassierbar. Sämtliche Blockaden wurden zwar unterdessen entfernt und Arbeiter sind daran, die Brücke wieder zu erneuern beziehungsweise die Spuren des Krieges zu beseitigen, dennoch liegt auch heute noch eine gewisse Spannung in der Luft. Nach der Entfernung aller Sperren liess nämlich der Bürgermeister des nördlichen Teils der Stadt eine Art Schutzmauer errichten. Sinn und Zweck dieser Mauer sind nicht bekannt, sie dient wohl einzig und allein der Provokation. Kfor-Truppen markieren auch heute noch Präsenz – schliesslich war es hier, wo 2004 die März-Unruhen ausbrachen, die das ganze Land innert 24 Stunden in einen bürgerkriegsähnlichen Zustand versetzten. Die Gräben zwischen den Ethnien scheinen auch all diese Jahre nach dem Krieg immer noch sehr tief zu sein.

Nach einer kurzen Diskussion mit dem Schweizer Botschafter im Kosovo, Jean-Hubert Lebet, und dem anschliessenden Mittagessen mit dem Kfor-Kommandanten General Fungo auf dem Feldlager in Pristina besuchten wir das Kloster Visoki Decani, das von Serbien als Teil seines Staatsgebietes betrachtet wird. Dieses im westlichen Teil Kosovos gelegene Kloster wurde in den Jahren 1328–1335 (also noch bevor Amerika entdeckt wurde) errichtet. 2004 wurde es von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt und wegen der schwierigen Sicherheitslage gleichzeitig auf die Rote Liste des gefährdeten Welterbes eingetragen. Das Kloster soll seit der Ankunft der Kfor im Kosovo 1999 viermal Ziel von Mörserattacken geworden sein (letztmals im Jahr 2007). Insgesamt soll es in den vergangenen Jahren rund ein Dutzend Mal Ziel von Übergriffen albanischer Ex-tremisten gewesen sein. Das Kloster wird heute von einer ganzen Kompanie italienischer Kfor-Soldaten rund um die Uhr bewacht. Der Abt des Klosters erzählte uns auch, dass ein Überleben ohne diese Überwachung faktisch unmöglich wäre.

Im Anschluss an diese höchst interessante Besichtigung verschoben wir ins Feldlager Prizren, das sich in der gleichnamigen Stadt im südlichen Teil des Kosovos befindet. Einige hundert Soldaten wohnen im weitläufigen Barackendorf – darunter das Gros der Schweizer. Im «Berghotel», einem Gebäude-Komplex bestehend aus Containern, hatten wir dann kurz die Möglichkeit, uns für den Abend frisch zu machen. An diesem Abend sind die Schweizer Soldaten aus allen drei Camps im Kosovo nach Prizren gefahren, um mit ihrem obersten Chef und uns Parlamentariern Weihnachten zu feiern. Meine Ansprache durfte ich – und das war mir eine besondere Ehre – gleich nach den Worten des Chefs der Armee an unsere Swisscoy-Truppe im Kosovo richten. Und das im Freien und vor versammelter Mannschaft. Nach dem Weihnachtsessen und Ansprachen meiner Ständeratskollegin beziehungsweise meines Ständeratskollegen überreichte der scheidende Drei-Sterne-General Blattmann jedem einzelnen Soldaten ein Sackmesser und eine Tafel Schokolade. Und bei jedem Einzelnen bedankte er sich mit einem Handschlag und einem netten Lächeln.

Nach einer kurzen Nacht in einem dieser zweckmässig-spartanisch eingerichteten Container stand am frühen Morgen um 7 Uhr ein Frühstück mit den Angehörigen der Armee aus den Kantonen der Parlamentarier auf dem Programm. Besonders gefreut hat mich, dass mit Beat Steingruber aus Lustmühle und Stefan Staub, Diakon und Armeeseelsorger aus Teufen, gleich zwei Ausserrhoder anwesend waren.

Zwischenhalt in Mostar

Auf unserem Rückflug legte unsere Delegation in Mostar (Bosnien) einen Zwischenhalt ein. Denn in Bosnien sind 26 Soldaten im Rahmen des Eufor-Einsatzes als Friedensbeobachter und Vermittler stationiert. Mostar selbst ist die grösste Stadt des südlichen Teils des Landes und hat etwa 113000 Einwohner. Während des Bosnienkrieges kam es 1992/1993 in Mostar zu Kämpfen zwischen kroatisch-bosniakischen und serbischen Einheiten, 1993/1994 zu Kämpfen zwischen Kroaten und Bosniaken. Von der damaligen Kriegszeit zeugen heute noch die vielen kriegsversehrten Häuser und Kriegsruinen inmitten der Stadt. Während des Krieges wurde das Wahrzeichen Mostars, die Brücke «Stari most» (zu Deutsch «alte Brücke»), bei einem mehrstündigen Beschuss durch kroatische Streitkräfte gezielt zerstört. Nach Kriegsende wurde die in den Jahren 1556 bis 1566 erbaute Brücke wieder aufgebaut und offiziell 2004 eröffnet. Beim Zwischenhalt an dieser Brücke rief der Muezzin die muslimische Gemeinde zum Gebet. Besonders eindrücklich war, dass gleichzeitig auch die Kirchenglocken zu läuten begannen. Und auch hier in Mostar lag eine gewisse Spannung über dem Ort. Mit religiösen Mitteln versucht man nämlich, sich gegenseitig zu überbieten. So thront weit oben auf dem Berg ein übergrosses Kreuz, während unten in der Stadt der Muezzin von seinem Minarett ruft und Kirchtürme aus symbolischen Gründen weitaus höher sind als bei uns.

Kontingent soll verkleinert werden

Der Besuch bei unseren Armeeangehörigen im Auslandeinsatz hat zumindest mir bestätigt, dass unsere Soldaten mit den Angehörigen ausländischer Streitkräfte in jeder Beziehung mithalten können. Unsere Frauen und Männer sind mir durch ihre Professionalität und Ernsthaftigkeit aufgefallen und ich habe gespürt, dass es gerade unsere Milizsoldaten sind, die im Gegensatz zu Berufsmilitärs bei der Bevölkerung bestens ankommen. Der Bundesrat plant nun eine schrittweise Verkleinerung des Kontingents im Kosovo. Vor dem Hintergrund, dass auch andere Staaten ihre Bestände kürzen, ist dieser Schritt sicher richtig. Und dennoch habe ich gesehen, dass der Frieden in beiden Ländern ganz bestimmt noch nicht gesichert ist und wohl bereits Kleinigkeiten wieder zu einem Flächenbrand führen könnten.

Briefing für Ständerätin Géraldine Savary und David Zuberbühler durch Oberst i Gst Fridolin Keller. (Bild: pd)

Briefing für Ständerätin Géraldine Savary und David Zuberbühler durch Oberst i Gst Fridolin Keller. (Bild: pd)