Der 80jährige Dirigent und Komponist Sepp Z'graggen hat einen Grossteil seines Lebens in Ebnat-Kappel verbracht. «Johlen» lernte der jüngste von sieben Kindern beim Sägereibesitzer und Jodler Emil Hartmann.
EBNAT-KAPPEL. Zwei Begriffe sind untrennbar miteinander verbunden: Jodelchörli Hüsliberg und Sepp Z'graggen. Und weil das Jodelchörli durch die Dirigententätigkeit von Sepp Z'graggen geprägt wurde, werden seine Verdienste immer noch hoch geschätzt. So hoch, dass ihm zu Ehren ein Geburtstagskonzert auf die Beine gestellt wurde. «Eine spezielle Ehre, denn in der Regel gibt es erst nach dem Abtreten von dieser Welt ein Gedenkkonzert», meint ein sichtlich gerührter Sepp Z'graggen beim Besuch in seinem schmucken Heim im oberen Steinenbach.
Doch wie kommt der Sohn eines von der Innerschweiz ins Toggenburg eingewanderten Bildhausers zum Jodeln? «Jodeln war im Elternhaus kein Thema, aber die Mutter hat, weil sie die Schule beim legendären Lehrer Albert Edelmann absolvierte, gerne gesungen. Mit ihrer herrlichen Sopranstimme animierte sie auch mich zum mitsingen, und so habe ich als Jüngster viele Lieder lernen dürfen.»
Aber so richtig gepackt, habe es ihn, wenn er Emil Hartmann, den Sägereibesitzer und Jodler hörte. «Die Sägerei stand an der Kreuzung Rohrgarten, Thurau, Eich, und weil wir in der Eich wohnten, kam ich oft dort vorbei.» Emil Hartmann habe ihm ab und zu aufgetragen, Raucherwaren und Bier zu holen. «Dann gab es nicht, wie sonst für solche Botengänge üblich, ein paar Rappen Trinkgeld, sondern Jodelunterricht. Ich durfte mit ihm auf einem Block sitzen und johlen.» So sei er in Kontakt mit dieser besonderen Art des Singens gekommen.
Emil Hartmann, Lehrmeister und Vorbild von Sepp Z'graggen, starb 1949. «Ich war damals 17 Jahre alt und die berufliche Ausbildung war wichtig.» Nach der Lehre als Automechaniker und Lastwagenmechaniker standen Wanderjahre in die Westschweiz, nach Schönengrund und Diepoldsau auf dem Programm. «In Diepoldsau lernte ich Herlinde, meine spätere Frau kennen.» Geheiratet wurde 1955 und ein Jahr später kehrten sie gemeinsam ins Toggenburg zurück. Dann habe ihn die Lust zum Singen wieder gepackt, «und weil im damaligen Jodel-Doppelquartett jüngere Sänger gesucht wurden, durfte ich sechs Monate zur Probe mittun.» Er sei dann, nach strenger Begutachtung, aufgenommen worden. Der damalige Dirigent, Walter Hunziker war es, der Sepp Z'graggen animierte, den Dirigentenkurs zu machen. Freunde und Begabung, gepaart mit Lerneifer waren die Grundlage für den Erfolg von Sepp Z'graggen. In Ennetbühl war er von 1974 bis 2001 Dirigent des Jodelklubs Bergfründ Ennetbühl. «In all den Jahren sind wir nur ein einziges Mal ohne ein <Sehr gut> als Bewertung von einem Eidgenössischen oder Nordostschweizerischen Jodelfest heimgekehrt.»
Das Jodelchörli Hüsliberg entstand aus der Theatergruppe. «Gesungen wurde ohne Dirigent, einfach aus Freude», so Sepp Z'graggen. «Dann haben die Hüsliberger einen Jodelabend geplant und einen Chor aus dem Bernbiet eingeladen, wollten aber vorgängig doch noch mit einem Dirigenten singen.» So sei er angefragt worden und habe schon in der ersten Stunde das Potential des Chors gespürt. «Die hatten so unverbrauchte, strahlende Stimmen, es wäre einfach schade gewesen, wenn ich mich nicht um den Chor gekümmert hätte.»
Aus dem «sich kümmern» wurden fast drei Jahrzehnte, in denen Sepp Z'graggen den «Hüslibergern» seinen Stempel aufdrückte, aber auch selbst Fortschritte machte. «Gesungen wurde meist aus dem Stegreif und das war der Grund, dass ich mit Komponieren und Noten schreiben, begonnen habe.» Und weil kein Meister einfach so vom Himmel fällt, brauchte Sepp Z'graggen Hilfe, die er bei Willi Valotti fand. «Er hat mich immer ermuntert, hat mir gezeigt, worauf ich achten muss, und so lernte ich das Ganze Schritt für Schritt.»
Wenn Sepp Z'graggen auf die langen Jahre als Dirigent zurückblickt, leuchten seine Augen. Er habe nicht nur unzählige gemütliche Stunden im Kreise von Kameradinnen und Kameraden verbringen dürfen, sondern auch viel gelernt. «Sogar, dass ab und zu ein Lob ausgesprochen werden sollte, wurde mir beigebracht.»
Auch die Kontakte zu Jodlerpersönlichkeiten aus verschiedenen Landesgegenden hat Sepp Z'graggen immer genossen und geniesst sie, soweit dies möglich ist, auch heute noch. An der Wand, neben dem Eingang hängen Bilder und zu jedem weiss der passionierte Jodler eine kleine Geschichte. Unter anderem ist ein Bild von Ruedi Rymann, dem unvergesslichen «Schacher Seppli» zu sehen. Ihn besuchte Sepp Z'graggen wenige Wochen vor seinem Tod im September 2008 noch in seinem Haus in Giswil.
Ob Naturjodel, das Arrangieren von überlieferten Jodelliedern oder das Festhalten von Melodien, die ihm vorgesungen wurden, Sepp Z'graggen hat sich um viele Belange gekümmert. «Dabei lernte ich auch, mich mit Nachkommen von Komponisten und Textern auseinander zu setzen. Oft war nicht klar, dass von einem Lied schon Noten vorhanden sind, und so habe ich auch in diesem Bereich viel Zeit investiert.» Eines bleibt ihm unvergessen: «Eines Tages kontaktierte mich der in Wattwil aufgewachsene Pfarrer Theo Kappeler. Sein Vater war Wirt auf der Iburg und sein Sohn bedauerte, dass viele alte Jodellieder, die dort gesungen wurden, nirgends festgehalten sind.» Unter anderem sei so auch das Lied: «Dr gschwungni Nidel» ein Jodellied, das seinerzeit bei der «Nidlete» gesungen wurde, entstanden.
42 Jahre hat Sepp Z'graggen bei der Baufirma Giezendanner als Werkstattchef gearbeitet und war zuständig für den Unterhalt des Maschinenparks. Zuerst wohnte er mit seiner Familie in der Wohnung über dem Magazin, dann konnte er 1966 das Haus im oberen Steinenbach kaufen. Mit zwei Söhnen und einer Tochter war das Familienglück komplett und dank seiner verständnisvollen Frau blieb dem engagierten Jodler und Dirigenten auch noch Zeit für eine weitere Passion.
«Ich war leidenschaftlicher Schwinger, auch wenn ich nie so gut war wie die heutigen Toggenburger.» Zudem habe er sich auf verschiedenen Verbandsebenen engagiert und nach seinem Rücktritt auch einige Ehrenmitgliedschaften erhalten. «Auch heute bin ich noch jedes Jahr an 12 bis 15 Schwingfesten dabei und seit 1956 wurde kein einziges Eidgenössisches verpasst.»
Seit dem Tod seiner Frau Herlinde im Jahr 2000 lebt Sepp Z'graggen allein. Ein grosser Trost ist ihm die Erinnerung an die guten 45 Jahre, die er mit seiner Ehefrau verbringen durfte, sowie die Kontakte zu seinen Kindern und den Enkeln. «Die ersten Monate nach dem Tod waren schwierig, ich wollte mich eigentlich von allen Aufgaben zurückziehen, bin aber rückblickend dankbar, dass mich meine Kinder ermutigt haben, weiter zu machen.» Dann ein kurzer Griff in den auf dem Tisch liegenden Ordner: «Heiweh», dieses zu Herzen gehende Jodellied, welches die Heimat, die Erinnerung an die Mutter und an die Ehefrau besingt, entstand im Jahr 2000. «Es war meine Art, mit der Trauer umzugehen und gibt meinen damaligen Gefühlszustand wieder», so Sepp Z'graggen. Angesprochen auf Wünsche, Pläne und Ziele meint der 80-Jährige: «Ich bin ein glücklicher Mensch, ich darf in einem intakten Umfeld gesund leben und pflege gute Kontakte zu meinen Angehörigen und zu den Jodelkameraden.» Adi Lippuner