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Schweiz (Newsticker)
Der Zirkus Nock hätte gerettet werden können, sagt ein ehemaliges Verwaltungsratsmitglied. Stimmt nicht, sagt die Familie. Was sind die wahren Gründe für das Aus des ältesten Zirkus der Schweiz? Wir trafen die beiden Nock-Schwestern.
Der stolze Schriftzug in Rot ziert die weissen Wagen. Sie stehen auf dem Platz im ländlichen Aargauer Fricktal. Sogar die Strasse in Oeschgen, an der der Zirkus Nock sein Winterquartier hat, ist nach ihm benannt: die Circusstrasse. Das Gelände wird von grünen Feldern umrandet, daneben steht ein stattliches Haus mit einem grossen Schopf.
Das Haus bietet Platz für drei Generationen. Franz, 82, und Verena, 74, haben hier ihre Wohnung, ihre beiden Töchter Franziska, 43, und Alexandra, 41, die letzten beiden Nock-Direktorinnen mit ihren Familien ebenso.
Franziska und Alexandra Nock treten aus dem Haus. Gemeinsam haben sie in siebter Generation die Geschicke des Zirkus Nock zuletzt geleitet. Sie haben sich bereit erklärt, mit der «Schweiz am Wochenende» als erstes Medium über das Aus ihres Betriebs zu sprechen. Ihre Bedingungen: Die Öffentlichkeit soll nicht wissen, wie sie ihren Lebensunterhalt nun bestreiten und alles, was sie sagen, wollen sie gemeinsam gesagt haben.
Das exklusive Interview mit den Nock-Schwestern:
Alexandra war Luftartistin, Franziska Pferdedresseurin. Ihre Welt ist diejenige des Zirkus. Als Jugendliche gab es für sie keine Alternative zu Zirkus. Sie haben auf das falsche Pferd gesetzt: Vor einer Woche meldete das Zirkusunternehmen: Nach 158 Jahren ist Schluss.
Noch hat der älteste Zirkus der Schweiz nicht mit der Tournee begonnen. Die diesjährige war als abgespeckte Tournee geplant und sollte erst im Sommer beginnen. Auch, um mehr Ressourcen für die nächstjährige Tournee zur 160-Jahr-Feier zur Verfügung zu haben.
Die Zirkuslandschaft Schweiz wird damit auf einen Schlag um einen wichtigen Akteur ärmer. Zwar feiert der Circus Knie, der grösste der Schweiz, dieses Jahr sein 100-Jahre-Jubiläum. Doch der Segen über der Zirkusbranche hängt schief. Das Unterhaltungssegment ist übersättigt, Tiernummern in der Manege sind längst nicht mehr en vogue.
Der Zirkus Nock in historischen Bildern:
Zudem steigen die Kosten kontinuierlich, Zirkusse beklagen immer höhere Platzmieten und strengere Vorschriften. Und den Zirkusleuten macht der Klimawandel zu schaffen. Wegen der heissen Temperaturen füllten sich letzten Sommer die Ränge unter der Zeltkuppel des Zirkus Nock oftmals nicht einmal zur Hälfte, sagen die Geschwister Nock. Denn wer setzt sich bei brütender Hitze schon freiwillig in ein Zirkuszelt?
Alexandra und Franziska setzen sich am Küchentisch ihrer Eltern im ersten Stock im Hause Nock. Mutter Verena setzt sich dazu, zündet sich eine Zigarette an. Und sagt, sie wolle ihre Töchter sprechen lassen, auch mit den Medien. Sie sei bloss da, um einzugreifen, zu berichtigen, wenn es was zu berichtigen gebe.
Steigende Anforderungen, höhere Kosten, stark gewandelte Vorlieben des Publikums – laut den Zirkusleuten Nock war es das, was ihnen letztlich so zu schaffen machte. Im Gespräch mit der «Schweiz am Wochenende» legt die Familie dar, was schlussendlich den Ausschlag gab fürs Aufgeben. «Es waren ganz klar die Finanzen», sagen die Geschwister Alexandra und Franziska. Zu hohe Ausgaben, zu tiefe Einnahmen: Ende letzter Saison habe ein Loch in der Kasse geklafft, das nicht mehr zu kitten war.
Anders sieht das Jost Leutwyler. Leutwyler ist selbstständiger Unternehmensberater und gab beim Circus Nock ein wenige Monate kurzes Intermezzo im Verwaltungsrat. Die Familie selbst hatte vergangenen Sommer extern nach Hilfe gesucht. «Der Circus Nock hätte nicht untergehen müssen», sagt Leutwyler dieser Zeitung. Mit einer Eigenfinanzierung von 90 Prozent sei das Unternehmen letzten Sommer noch «sehr gut» aufgestellt gewesen.
Bei Einnahmen und Ausgaben im einstelligen Millionenbereich hätten nach der letzten Saison zwar 100 000 Franken in der Kasse gefehlt. Leutwyler sagt, man hätte diesen Betrag, ja sogar eine halbe Million, locker für den Traditionszirkus zusammenbekommen.
Neben Geldern aus dem Lotteriefonds des Kantons Aargau sei ein Crowdfunding zusammen mit der Raiffeisen Bank aufgegleist worden. «Eine halbe Million Franken hätte dringelegen.» Es sei zwar knapp gewesen, schliesst Leutwyler. «Wir waren zuversichtlich, doch die Familie war nicht mehr zu motivieren.» Innerhalb der Familie hätten letztlich weder die Kraft noch die Möglichkeiten bestanden, das Steuer herumzureissen. Leutwyler sagte:
«Wir waren zuversichtlich, doch die Familie war nicht mehr zu motivieren.»
Gab die Familie also zu früh auf? Nocks ärgern solche Aussagen. «Das klingt nun so, als hätten wir einfach so aufgegeben. Das stimmt nicht. Es war ein äusserst schwerer Entscheid, der Zirkus war unser Leben. Wir versuchten bis zuletzt, den Zirkus zu retten, wir waren top motiviert», sagen die beiden Schwestern.
Wie viel Geld letztlich in der Kasse gefehlt hat, wollen die Nocks nicht sagen. Für Franziska und Alexandra ist aber klar: «Wir hätten das Geld sofort gebraucht. Die Idee des Crowdfunding fanden wir gut, doch sie kam zu spät.»
Das Problem: Der Circus Nock war nicht liquid. Die Familie konnte die laufenden Kosten nicht mehr decken, sagen sie. Für die Familie Nock kommt hinzu: «Hätten wir Kredite aufgenommen, wäre der Betrieb zwar erst einmal gerettet gewesen, doch die Probleme hätten uns bereits nächstes Jahr wieder eingeholt. Wir sahen, dass es nicht mehr besser wird. Letztlich war es bei diesen Aussichten ehrlicher, aufzuhören.»
Wie geht es nun weiter? Die Familie trauert. Ein Interview wollten die Frauen eigentlich noch nicht geben, wollten sich damit noch etwas Zeit lassen. Erst die Sichtweise von Ex-Verwaltungsrat Leutwyler brachte sie dazu, sich doch noch zu äussern.
Sieben Nock-Generationen fuhren mit ihrem Zirkus durch die Schweiz. Legendär waren Figuren wie Pio der Clown, oder Franz Nock mit seinen Pferdenummern. Hinter dem Knie galt Nock als zweitgrösster Zirkus der Schweiz. Die Geschichten der beiden Zirkusse sind eng miteinander verwoben. Mitglieder der Nock-Familie gingen mit dem Knie auf Tournee.
Der Nock war vor allem wichtig für die Gebirgsregionen. Als einziger Schweizer Zirkus überwand Nock mit seinen Fahrzeugen regelmässig die Alpenpässe. Wegen seiner zahlreichen Auftritte in Graubünden erhielt der Nock sogar den Übernahmen «Engadiner National-Circus» – in Anlehnung an den Knie, der die Bezeichnung «National-Circus» zu Beginn des 20. Jahrhunderts schützen liess.
«Feuerprobe in der Manege» titelte die «Schweizer Illustrierte» 2012 über die Nock-Schwestern Franziska und Alexandra. Sie sind es, die den Betrieb nun aufgeben müssen. «Wenn Nostalgie, Professionalität und Leidenschaft allein nicht mehr ausreichen» stand über dem Communiqué von letzter Woche. Daneben hätte es wohl auch ein paar gute Ideen gebraucht, um den Zirkus Nock in die nächste Ära zu retten.
Doch eine Strategie hatte die Familie Nock nicht mehr. Als Franziska und Alexandra Nock letztes Jahr in einem Talk von «Tele Züri» danach gefragt wurden, antworteten sie: «Wir wollen Zirkus, so wie er ist. Man muss halt hoffen, dass es weitergeht und dass das Publikum wieder angezogen wird.»
Ihre Hoffnungen haben sich nicht erfüllt