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Aus fünf mach vier: Mitfavorit Christian Kracht zieht seinen Roman «Eurotrash» aus dem Rennen um den Schweizer Buchpreis 2021 zurück. 2016 hatte er diesen Preis schon mal gewonnen. Einen späten Rückzug gab es schon einmal: 2008 machte Adolf Muschg einen Rückzieher.
Das ist eine Überraschung: Christian Kracht verzichtet auf die Chance, den Schweizer Buchpreis 2021, und damit als erster zum zweiten Mal, zu gewinnen. Er habe die Trägerschaft darüber informiert, dass er sein Buch «Eurotrash» von der Nominationsliste zurückziehe. Das teilte die Trägerschaft des Schweizer Buchpreises am Dienstag mit. Sie bedauert die Entscheidung in der Mitteilung – «besonders, da sie zu diesem späten Zeitpunkt kommt». Krachts neuer Roman stiess in der medialen Besprechung auf viel Begeisterung. Und es ist doch keine Überraschung. Nicht nur in seinen Romanen steigert sich Christian Kracht zuweilen in ein schrulliges Versteckspiel – er macht es auch als öffentliche Person: Bei der Verleihung des Schweizer Buchpreises 2016 für seinen Roman «Die Toten» verliess er nach Übergabe des Hauptpreises und des Blumenstrausses wortlos die Bühne und liess Jury und Publikum konsterniert zurück.
Christian Kracht, dessen Roman auch auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis steht, begründet seinen Entschluss damit, dass er mit seinem Rückzug, «den anderen nominierten Schriftstellerinnen eine bessere Chance auf den Preis geben» wolle. Das ist aber zynisch: enn er seinen Roman vor der Shortlist zurückgezogen hätte, wäre Platz gewesen für ein anderes Buch, und da gäbe es etliche. Auch möchte er «der Diskussion über die Förderung meines Werkes, wie sie bisweilen in einigen Schweizer Medien betrieben wird, nicht weiteren Stoff liefern». Damit spielt der Schriftsteller auf einen Artikel im Tages Anzeiger vom 4. Oktober 2020 an. Darin war kritisiert worden, dass ein Bestsellerautor wie Kracht, der zudem aus reichem Hause stamme, von der Kulturstiftung Pro Helvetia 25 000 Franken als Werkbeitrag für seinen neuen Roman erhält. Man darf davon ausgehen, dass Kracht mit seinem Roman Eurotrash mindestens Co-Favorit für den diesjährigen Buchpreis war. Für den Gewinner gibt es 30 000 Franken. Offenbar scheute Kracht die mögliche Polemik über den Geldsegen für einen Autor aus reichem Hause.
Dieser Rückzug erinnert stark an die erste Verleihung des Schweizer Buchpreises im Jahr 2008. Damals stand neben Rolf Lappert, Lukas Bärfuss, Anja Jardine und Peter Stamm auch Adolf Muschg mit seinem Roman «Kinderhochzeit» auf der Shortlist. Am Vorabend der Preisverleihung jedoch zog Adolf Muschg seinen Roman von der Nominierungsliste zurück. Auch damals fühlten sich Organisatoren und Jury vor den Kopf gestossen. Eine Erklärung auf dem Podium wurde ihm verwehrt. Im Blick liess sich Muschg dann zitieren: «Gute Bücher sind nie vergleichbar. Oder kennen Sie eine olympische Disziplin, in der Degenfechten, Sackgumpen und Dressurreiten zusammengelegt werden?» Dass er mit dieser selbstverständlich berechtigten Grundsatzkritik viel zu spät kam, bedauere er aber nachträglich, erklärte aber: «Es gibt Bücher, die passen nicht in einen Wettbewerb. Meine ‹Kinderhochzeit› ist ein empfindsames Buch. Es stimmt nicht zu jeder Art Marketing.»
Muschgs damalige Kritik am Marketingcharakter des Buchpreises und das Beharren auf der Unvergleichbarkeit von künstlerischen Werken hängt seit je an diesem wettbewerblichen Preis. Lukas Bärfuss, der diesen Preis 2014 gewonnen hatte, hat 2017 dem Buchpreis sogar Mauschelei und Einmischung durch die Organisatoren bei der Jurybewertung vorgeworfen und die Abschaffung dieses Preises «in seiner heutigen Form» gefordert, eine Kritik, die die Jury umgehend zurückgewiesen hat. Die Unabhängigkeit der wechselnden Jury sei gewährleistet. So steht es schliesslich auch in der Charta des Buchpreises. Und dass sich die hochkarätige Jury mit renommierten Fachleuten aus Kulturjournalismus, Buchhandel und Universitäten einem Diktat oder Einfluss der Organisatoren beugt, ist doch sehr unwahrscheinlich. Und festzuhalten ist vor allem: Der Schweizer Buchpreis ist ein Erfolg, erhöht die Sichtbarkeit der Schweizer Literatur, stösst immer wieder Qualitätsdiskussionen an. Er ist zudem ein sehr gut besuchter Anlass und gibt der heimischen Literaturszene einen Hauch Glamour. Dass sich die Autorinnen und Autoren jeweils an der öffentlichen Preisverleihung wie Zirkuspferde fühlen können, nehmen die einen mit sportlichem Humor, andere eher mit Zähneknirschen hin.
Weiter im Rennen um den Schweizer Buchpreis verbleiben damit die Werke von Martina Clavadetscher, Thomas Duarte, Michael Hugentobler und Veronika Sutter. Die Auszeichnung ist mit insgesamt 42'000 Franken dotiert, wovon die Preisträgerin oder der Preisträger 30'000 Franken erhält. Die öffentliche Preisverleihung findet am 7. November statt. (abi)