Startseite
Nachrichten
Schweiz (Nachrichten)
Weder die Klimajugend noch der teurere Benzinpreis sollen das neue CO2-Gesetz zu Fall gebracht haben. Laut der Uni St.Gallen war es die Kluft zwischen Bauch und Kopf respektive eine verzerrte Wahrnehmung.
Warum ist das neue CO2-Gesetz im Juni knapp an der Urne gescheitert? Dies trotz anfänglich grosser Zustimmung und obwohl alle Parteien ausser SVP und EDU die Vorlage unterstützt hatten? – Bislang gilt die These: Um mit der Vorlage möglichst viele Lager anzusprechen, wurde sie inhaltlich überladen. Jungen und Städtern war sie deswegen am Ende gar zu wenig radikal, als dass sie dafür noch in Scharen an die Urnen gerannt wären.
Nun bringt die Universität St.Gallen (HSG) eine dritte These ins Spiel: Die Emotionen bei der Meinungsbildung im Abstimmungskampf sind schlicht unterschätzt worden. Viele Bürgerinnen und Bürger würden Klimapolitik zwar als wichtig erachten, schreibt das Institut für Wirtschaft und Ökologie der HSG am Freitag in einer Mitteilung. Doch möge man sich nicht damit auseinandersetzen. Erst recht nicht jetzt, wo die Folgen des Klimawandels sichtbar werden.
Nach dem neuen CO2-Gesetz gefragt, hätten Gegner in der Nachwahlbefragung denn auch mehrheitlich negative Assoziationen geäussert. Doch auch Befürwortern des verschärften Klimaschutz-Gesetzes kamen in den Interviews überwiegend Gedanken oder Bilder in den Sinn, die mit negativen Gefühlen verbunden sind.
Besonders polarisieren dabei Klimaaktivisten: Während sie bei 48 Prozent der CO2-Gesetz-Befürworter Zustimmung erfahren, sind 50 Prozent der Gegner wütend auf die Klimaaktivisten. Gegenüber Klimaskeptikern sind die Unterschiede dagegen weniger gross: Hier überwiegen zwar in beiden Lagern deutlich Wut und Angst. Lediglich 4 Prozent der Gegner äussern Begeisterung. Laut HSG deutet dies darauf hin, dass die Diskussion über die Existenz des Klimawandels «nur noch auf wenig Resonanz» stösst.
Wie die HSG weiter schreibt, traf die Gegenkampagne mit dem Slogan «teuer, nutzlos, ungerecht» bei den Stimmenden zwar einen Nerv. Die Befragung des Teams um Professor Rolf Wüstenhagen weist aber auch nach, dass die Breite und Details des CO2-Gesetzes nicht verstanden wurden. So ist die Mehrheit beispielsweise der Meinung, die neue Flugticketabgabe hätte pauschal 120 Franken betragen. Dabei wäre sie nach Streckenlänge abgestuft eingeführt worden.
Und auch die bereits im heutigen Gesetz vorhandene Rückerstattung der CO2-Abgabe nimmt die Bevölkerung kaum wahr. Nur 32 Prozent der Ja-Stimmenden und 23 Prozent der Nein-Stimmenden wissen davon. Dabei erhielten letztes Jahr alle Einwohner rund 87 Franken aus der Rückverteilung der Umweltabgaben über ihre Krankenkasse zurückerstattet. «Eine bessere Sichtbarkeit dieses Geldflusses könnte die Akzeptanz von Lenkungsabgaben künftig erhöhen», schreibt die HSG.
Fürs Erste dürften neue Lenkungsabgaben in der Schweizer Klimapolitik jedoch vom Tisch sein. Damit sich niemand bestraft fühle, erteilte Umweltministerin Simonetta Sommaruga neuen Abgaben auf Benzin, Öl oder Flugtickets erst kürzlich eine Absage. Zuvor hatte sich auch ihre Vorgängerin im Umweltdepartement, Doris Leuthard (Die Mitte), bereits gegen neue Lenkungsabgaben ausgesprochen, wenn auch dieses Instrument eigentlich das einzig richtige sei. Doch es werde vom Volk nicht verstanden.
Frühere Umfragen zum knappen Ergebnis vom 13. Juni verwiesen auf unterschiedliche Ursachen. Laut einer Nachwahlbefragung von «20 Minuten» und den Tamedia-Zeitungen haben die 18- bis 34-Jährigen – und damit auch die sogenannte Klimajugend – das neue CO2-Gesetz mit 58 Prozent überdurchschnittlich häufig abgelehnt. Einzig bei der Altersgruppe ab 65 Jahren – also unter den Babyboomern – fand die Vorlage mit 54 Prozent eine Mehrheit. Inhaltlich war die Angst vor höheren Kosten das Hauptargument gegen die Vorlage. Lediglich 2 Prozent begründeten ihr Nein damit, das CO2-Gesetz gehe ihnen zu wenig weit.
Die traditionelle VOX-Analyse im Auftrag des Bundes kam dagegen zum Schluss, die beiden gleichzeitig zur Abstimmung gelangten Agrar-Initiativen hätten vermehrt Personen mobilisiert, die sich auf einer Links-Rechts-Skala «rechts» respektive «rechtsaussen» verorten. Diese Stimmbürger vertrauten zudem tendenziell dem Bundesrat weniger stark und Preiserwägungen spielten für sie eine zentrale Rolle, schrieb das Forschungsinstitut gfs.bern zu seiner Studie. Das Alter der Stimmberechtigten dagegen habe beim Urnengang in unterschiedlichen Modellen der Analyse lediglich eine untergeordnete Rolle gespielt.
Wie die HSG schreibt, hat sie für ihre jüngste Studie 757 Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in der Deutschschweiz und in der Romandie befragt. Die Umfrage ist online in der Woche nach der Abstimmung durchgeführt worden und wurde aus eigenen Mitteln finanziert.