Untersuchung
Rechte behinderter Menschen: UNO-Ausschuss stellt der Schweiz kein gutes Zeugnis aus

Ein UNO-Ausschuss hat die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention in der Schweiz überprüft. Dieser sieht zahlreiche Baustellen, unter anderem was die Selbstbestimmung betrifft.

Alice Guldimann
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Auch in Sachen Barrierefreiheit hat die Schweiz noch viel Luft nach oben.

Auch in Sachen Barrierefreiheit hat die Schweiz noch viel Luft nach oben.

Keystone

Die Schweiz hat die UNO-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2014 ratifiziert. Zwischen dem 14. und 16. März überprüfte der zuständige UNO-Ausschuss, wie es um deren Umsetzung steht. Die am Dienstag veröffentlichten Schlussbeobachtungen loben zwar die bisher ergriffenen Massnahmen, sehen aber noch viel Handlungsbedarf, insbesondere, was die Gleichstellung und Selbstbestimmung behinderter Menschen betrifft. Hier die wichtigsten Punkte aus dem 15-seitigen Bericht.

Fehlende Harmonisierung und Koordination:

Der Ausschuss sieht eine fehlende Harmonisierung der Gesetzgebung mit der Behindertenrechtskonvention. Er fordert Bund und Kantone dazu auf, die Übereinkunft in Gesetze, Verordnungen und Praktiken zu integrieren. Weiter brauche die Schweiz eine umfassende Behindertenstrategie und eine funktionierende Koordination auf allen Regierungsebenen. So soll der Schutz aller Menschen mit Behinderung gewährleistet werden.

Mangelnde Barrierefreiheit

Auch was die Barrierefreiheit im öffentlichen Raum betrifft, fehlt laut dem UNO-Ausschuss eine einheitliche Strategie. Um den Zugang zu allen Bereichen zu gewährleisten, brauche es eine Harmonisierung in allen Verwaltungsbereichen sowie universelle Designstandards. Weiter wird im Bericht empfohlen, den Geltungsbereich des Behindertengleichstellungsgesetzes auf sämtliche Gebäude und Einrichtungen auszudehnen, unabhängig von der Notwendigkeit einer Renovierung.

Umgang in der Coronapandemie

Der Ausschuss bemängelt «das Fehlen einer proaktiven Reaktion auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen in Bezug auf Covid-19». So habe es unter anderem mangelnde Informationen über Masken-Ausnahmen gegeben, was mitunter zu einer Verunglimpfung autistischer Personen geführt habe. Künftig solle die Zusammenarbeit mit Behindertenorganisationen gestärkt werden, heisst es weiter.

Schutz vor Gewalt

Im Bericht wird der Schweiz weiter empfohlen, die Massnahmen zur Verhütung und Bekämpfung aller Formen von Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen zu verstärken. Weiter brauche es umfassende Daten über die Prävalenz von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch. Der Ausschuss empfiehlt, behinderten Menschen altersgerechte Informationen über Formen von Gewalt und die ihnen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel zur Verfügung zu stellen.

Selbstbestimmtes Leben in der Gemeinschaft

Die UNO-Experten kritisieren die Unterbringung von behinderten Kindern und Erwachsenen in Heimen und ein fehlendes System, welches ihnen ermöglicht, ein unabhängiges Leben in der Gesellschaft zu führen. Es brauche eine Stärkung der Dienstleistungen für Menschen mit Behinderung und die Gewährleistung von erschwinglichem Wohnraum. Auch die Segregation behinderter Menschen in der Ausbildung und auf dem Arbeitsmarkt nimmt der Ausschuss «mit Besorgnis zur Kenntnis».

Es brauche einen Aktionsplan, um den Übergang vom geschützten Arbeitsmarkt in den offenen Arbeitsmarkt zu ermöglichen, mit dem gleichen Lohn für gleiche Arbeit und Möglichkeiten zur Weiterbildung. Ausserdem soll die Schweiz sicherstellen, dass Menschen mit Behinderungen in der Lage sind, an einer zugänglichen, inklusiven Hochschulbildung teilzunehmen.

Teilnahme am politischen Leben

Der Ausschuss kritisiert, dass Menschen mit Behinderung, welche als «dauerhaft urteilsunfähig» gelten, von der Ausübung ihres Wahlrechts ausgeschlossen werden und empfiehlt, die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen aufzuheben. Ebenfalls bemängelt er die mangelnde Vertretung in der Politik. Alle behinderten Personen, auch diejenigen in Einrichtungen, sollen Zugang zum Wahlverfahren haben und die Möglichkeit, sich zu engagieren.