Parlament
Angriff auf die Medienfreiheit? Ständerat beschliesst «Maulkorb»-Artikel

Der Ständerat möchte, dass Richter Medienberichte einfacher vorsorglich stoppen können. Dadurch soll der Persönlichkeitsschutz gestärkt werden. Den Warnungen der Branche schenkte der Rat keinen Glauben.

Reto Wattenhofer
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Soll die Medienfreiheit eingeschränkt werden? Ja, findet der Ständerat. (Archivbild)

Soll die Medienfreiheit eingeschränkt werden? Ja, findet der Ständerat. (Archivbild)

Keystone

Es geht eigentlich um eine kleine Änderung in der Zivilprozessordnung. Die Rechtskommission des Ständerates schlägt vor, die Hürde für vorsorgliche Massnahmen gegen Medienberichte zu senken. Damit ein Richter vorsorglich etwa eine Veröffentlichung eines Artikels verhindern kann, soll die Berichterstattung nur noch einen «schweren Nachteil» verursachen müssen. Heute muss für eine so genannte superprovisorische Massnahme eine betroffene Person aufzeigen, dass ein «besonders schwerer Nachteil» vorliegt.

Der Vorschlag war am Mittwoch im Ständerat umstritten. Für Thomas Hefti (FDP/GL) ist es richtig, dass die Gewichte etwas hin zum Persönlichkeitsschutz verschoben werden. Heute bestehe ein Ungleichgewicht zwischen dem Schutz der Betroffenen und den Medien. «Ein ‹schwerer Nachteil› ist kein Pappenstiel», erklärte Hefti.

«Für den kleinen Mann»

Auch Daniel Jositsch (SP/ZH) machte sich stark für die Revision. Es gehe um eine «Nuancenverschiebung». Wenn die Hürden zu gross seien, hätten Betroffene keine Handhabe. Gerade der «kleine Mann von der Strasse» könne sich nicht wehren. Jositsch verwies auch auf den Wandel der Medienwelt. «Das Internet vergisst nicht.» Fehlinformationen würden nie mehr verschwinden.

Das Argument des «kleinen Mannes» liess Carlo Sommaruga (SP/GE) nicht gelten. Die superprovisorische Massnahme werde von bekannten, einflussreichen Personen genutzt. Für Sommaruga lässt sich die Anpassung durch nichts rechtfertigen. Das fragile Gleichgewicht zwischen Medienfreiheit und Persönlichkeitsrecht sieht er dadurch gefährdet. Er kritisierte auch, dass die betroffenen Kreise dazu nicht konsultiert worden seien.

Justizministerin Karin Keller-Sutter lehnte tiefere Hürden ebenfalls ab. Es sei im Interesse der Medien und der Pressefreiheit, dass hier besondere Voraussetzungen gelten würden. Auch sei der Handlungsbedarf nicht ersichtlich. Der Ständerat stimmte der Änderung dennoch mit 30 zu 12 Stimmen zu. Nun geht das Geschäft an den Nationalrat.

«Kritischer Qualitätsjournalismus» in Gefahr

Nicht umstimmen konnte die kleine Kammer auch ein Brief der Branche. Im Vorfeld hatte eine breite Medienallianz aus Verlagshäusern, Verbänden und Gewerkschaften gegen die Anpassung geweibelt. Sie sieht den «kritischen Qualitätsjournalismus» in Gefahr. Die Änderung hätte «schwerwiegende negative Konsequenzen» für die Medienfreiheit in der Schweiz.

Die Allianz geht davon aus, dass die gängige Gerichtspraxis zulasten eines kritischen Journalismus revidiert würde. Ihrer Ansicht nach würde das «Tür und Tor öffnen für das vorschnelle Stoppen missliebiger, kritischer Recherchen». Die oftmals kostspieligen Gerichtsverfahren bekämen vor allem kleine oder lokale Medientitel zu spüren.

Nicht mehr als aufgewirbelter Staub

Im Ständerat war das Verständnis dafür relativ gering. «Hier wird nur Staub aufgewirbelt», monierte Beat Rieder (Die Mitte/VS). Die Darstellung, als ginge es um «Leben oder Tod», sei lediglich die Folge einer «hochentwickelten Form des Empörungsjournalismus». Rieders Ansicht nach ist eher das Gegenteil der Fall: Die grossen Medienkonzerne könnten «ihre Macht gnadenlos» ausspielen. Jeder überlege es sich zwei Mal, gegen einen solchen Konzern vorzugehen. Die Erfolgsaussichten vor Gericht seien gering.

Dieses Votum forderte die Gegner wiederum heraus. «Warum haben Sie das dann getan?», fragte Hannes Germann (SVP/SH). «Wir sind doch nicht hier, um Staub aufzuwirbeln.» Irgendeine Bedeutung habe die Streichung des Wortes «besonders» ja wohl. Für Germann gibt es zwar gute Gründe, um «einmal über die Bücher» zu gehen. Er erachtet den Ansatz aber als falsch, die superprovisorische Massnahme auszuweiten. Stattdessen sollten die Medien stärker in die Pflicht genommen werden.