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Rückschritt statt Durchbruch beim Rahmenabkommen: Der Brüssel-Trip von Guy Parmelin endet ohne Ergebnis. Die Schweiz tappt punkto EU weiter im Dunkeln: In der «Arena» will ein Aussenpolitiker den Bundesrat zwingen, endlich die Fakten auf den Tisch zu legen.
Seit sieben Jahren verhandeln die Schweiz und die EU über das institutionelle Rahmenabkommen (InstA). Ohne Ergebnis. Guy Parmelins Spitzentreffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sollte am Freitag den Durchbruch bringen. Denkste. «Wir haben festgestellt, dass unsere Positionen noch weit auseinanderliegen», so der Bundespräsident. Der InstA-Fail scheint unvermeidlich.
Zieht jetzt die Schweiz dem Rahmenabkommen den Stecker? Oder leben totgesagte wirklich länger und löst sich die jahrelange Blockade doch noch? In der SRF-«Arena» liegen sich GLP-Fraktionschefin Tiana Moser und SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi bald in den Haaren. Moser – seit jeher bekennende InstA-Unterschützerin – wirft Aeschi und Konsorten vor, mit dem «toxischen» EU-Gerichtshof bloss Feindbilder zu bewirtschaften. Aeschi lobt übrigens als einziger Arena-Gast den Brüssel-Trip seines Bundesrates. Er sei zufrieden mit Guy Parmelin. «Es hätte schlimmer kommen können.»
Ganz anderer Meinung ist die Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission (APK): «Ich habe mir mehr erhofft. Sie sind mit eurer Politik in einer Sackgasse gelandet, meine Herren», sagte Moser an die Adresse der InstA-Gegner. Bei gesetzgebenden Prozessen des Rahmenabkommens könne auch weiterhin das Schweizer Stimmvolk entscheiden.
Aeschi widerspricht: «Die EU wird zum neuen Gesetzgeber der Schweiz.» Die EU könne die Schweiz trotz den Volksabstimmungen erpressen, indem sie Abkommen sistiere. Moser sagt zu Aeschi, er könne seine Aussagen noch so oft wiederholen wie er wolle, sie würden nicht richtiger. «Es braucht gemeinsame Spielregeln mit der EU, unserem engsten Partner. Ziel ist, die Beziehungen zu stabilisieren. Das Rahmenabkommen liefert den passenden Werkzeugkasten dazu», so Moser weiter.
Mitte-Chef Gerhard Pfister ist ein pointierter Kritiker des Rahmenabkommens. «Der Lohnschutz und die Unionsbürgerrichtlinie bleiben die roten Linien. Ich habe grosse Zweifel, ob das Abkommen noch zustande kommt», so Pfister.
«Wir zwingen den Bundesrat am Montag, endlich Fakten auf den Tisch zu legen.»
Hanspeter Portmann, FDP
Was genau Bundespräsident Parmelin der EU in den Gesprächen vorgeschlagen hat, ist nicht klar. «Wir tappen weiter im Dunkeln. Ist der Bundesrat mit Maximalforderungen nach Brüssel gegangen? Wir wissen es nicht», sagt Swissmem-Präsident Stefan Bruppacher, der einst unter Bundesrat Johann Schneider-Amman arbeitete.
FDP-Nationalrat Hanspeter Portmann ist über die Geheimniskrämerei des Bundesrats stinksauer. Einmal mehr hätten die Schweiz und die EU das Verhandlungsergebnis ganz unterschiedlich interpretiert. «Das ist schon fast schizophren», so der Zürcher. Das Schwarzpeterspiel müsse ein Ende haben. «Per Antrag zwingen wir den Bundesrat darum am Montag dazu, endlich Fakten auf den Tisch zu legen», sagt das APK-Mitglied. Man müsse jetzt genau wissen, was der Bundesrat der EU angeboten habe oder eben nicht.
Warum aber kommen die Schweiz und die EU bei den Verhandlungen nicht weiter? Zwar hat die Schweiz der EU eine dynamische Rechtsübernahme zugesichert. Dabei kann bei allen Gesetzesänderungen das Schweizer Volk das Referendum ergreifen. Bei folgenden zwei Punkten sind trotz jahrelangen Verhandlungen keine Lösungen in Sicht:
Unionsbürgerrichtlinie (UBL): Die EU möchte ihren Bürgerinnen und Bürgern, die in der Schweiz wohnhaft sind, weitreichende Freiheiten ermöglichen. Dazu gehört bereits nach drei Monaten Aufenthalt der Zugang zu Sozialwerken, das Recht zum Daueraufenthalt oder die erschwerte Ausschaffung. Lohnschutz (Flam): Der Bundesrat verlangt von der EU Rechtssicherheit, dass der Lohnschutz durch flankierende Massnahmen rechtlich abgesichert wird. Staatsbeihilfen (z.B. Unterstützung Kantonalbanken)
Besonders umstritten ist die Unionsbürgerrichtlinie, wie die lebhafte Diskussion in der Arena zeigt. Die Krux: Die UBL selbst ist im Rahmenabkommen gar nicht enthalten. Vielmehr will die Schweiz erreichen, dass diese Passage vertraglich zugesichert nicht zum InstA zählen darf. Für die EU ein No-Go, da die UBL eng mit der Personenfreizügigkeit – DEM Grundpfeiler der EU – verknüpft ist.
Für einen klärenden Moment sorgen die Ausführungen Pfisters, warum die UBL so umstritten ist. «Faktisch würden wir EU-Bürgern die gleichen Aufenthaltsrechte wie Schweizern gewähren, obschon wir kein EU-Mitglied sind. Bis jetzt haben diese Rechte nur jene Bürger, die auch hier arbeiten. Das ist unsere grösste Differenz mit den Europäern». Portmann stellt klar, dass die UBL auch für ihn der Knackpunkt darstellt. «Bis jetzt haben beispielsweise nur Leute anrecht auf Sozialhilfe, die auch hier arbeiten.» Die EU verlangt, dass EU-Bürger schon nach drei Monaten Aufenthalt Sozialgelder beziehen können. Das sind dieselben Regeln, wie in den anderen EU-Ländern gelten.
Für einen Farbtupfer in der sonst ziemlich berechenbaren Arena sorgen zwei Studenten aus dem Publikum. David di Santo (28) sorgt sich um den Forschungs- und Bildungstandort. Seit 2014 werde den Studierenden versprochen, dass sie wieder beim Erasmus-Studierendenaustauschprogramm mitmachen könnten. «Jetzt ist 2021 und wir sind immer noch nicht dabei. Das geht nicht ohne Rahmenabkommen.»
Physik-Student Severin Spielmann (19) ist ganz anderer Meinung. Das Rahmenabkommen sei ganz und gar nicht gut. «Denn es ist unkündbar, weil immer neue Verträge darin einfliessen», so der Ostschweizer.
Ist das InstA also eine Mission Impossible? Die nächste rote Linie ist der Lohnschutz, für den die Gewerkschaften aufs Ganze gehen und eine unheilige Allianz mit der SVP bilden. Sie nehmen einen Absturz des Rahmenabkommens in Kauf. «Es darf nicht sein, dass wir den Lohnschutz verschlechtern», sagt Adrian Wüthrich, alt SP-Nationalrat und Präsident von Travail Suisse. Stefan Bruppacher von Swissmem wirft ein, dass die Arbeitgeberverbände mit dem Lohnschutz bloss ihr «Business-Modell» bewirtschafteten. Man sollte vielmehr auf digitale Lösungen setzen, um Lohnschutz zu gewährleisten.
«Ich habe keinen einzigen Vorschlag gehört, wie wir aus dieser schwierigen Situation herauskommen.»
Elisabeth Gilgen
Lange Rede, kurzer Sinn: Die Berner Unternehmerin Elisabeth Gilgen sitzt im Publikum und fasst die Diskussion gegen Ende der Sendung gut zusammen. «Ich habe keinen einzigen Vorschlag gehört, wie wir aus dieser schwierigen Situation herauskommen», sagte sie und forderte eine Neuauflage des EWR-Abkommens, das die Schweiz 1992 mit 50,3 Prozent abgelehnt hat. «Damals hätten wir eigene Richter stellen können.»
GLP-Moser nennt den EWR im Vergleich zum Rahmenabkommen einen schlechten Deal. Das InstA kenne der EWR bei Streitigkeiten keine «relativen Ausgleichsmassnahmen». Diese bedeuten, dass – wenn beispielsweise die Schweiz keine Sozialhilfe für EU-Bürger gewährt, die EU als Gegenmassnahme einfach Schweizern in der EU Sozialhilfe verweigern kann – und nicht gleich das ganze Abkommen künden darf.