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Ein Arzt bietet verschiedenen Nationen einen angeblichen Impfstoff an und mehrere Länder beissen tatsächlich an. Bei der Impfstoffproduktion wird unterdessen dringend qualifiziertes Personal gesucht: Die News aus der Sonntagspresse.
Ein Arzt hat mit seiner Schweizer Firma mehreren Nationen angeblichen Impfstoff von Astrazeneca und Biontech angeboten. Das berichtete der deutsche TV-Sender ZDF. SonntagsBlick-Recherchen zeigen nun: Der dubiose Händler ist im Kanton Aargau angemeldet. Der Deutsche hat über Jahre als Arzt in der Schweiz gearbeitet und besitzt eine Berufsausübungslizenz für die Kantone Aargau, Luzern und Bern.
In der Verzweiflung über Lieferengpässe haben bereits mehrere Länder bei ihm angebissen, darunter die Dominikanische Republik, Barbados, Bosnien und Herzegowina sowie die Slowakei. Die Regierungen dieser Länder haben sogenannte «Letters of Intent» an den Arzt geschickt. Briefe, in denen sie sich bereit erklären, Hunderttausende Impfdosen zu teuren Preisen zu kaufen. Adressiert sind die Absichtserklärungen an die Schweizer Firma des Arztes, die ärztliche Dienstleistungen vermittelt.
Laut dem SonntagsBlick liegt der Sitz des Unternehmens in einem Dorf im Kanton Aargau. Ob der Arzt tatsächlich Impfstoff vermitteln kann, ist unklar. Die Hersteller bestreiten vehement, mit den Zwischenhändlern um den Arzt aus dem Aargau etwas zu tun zu haben. Klar ist: Der Schattenmarkt mit Covid-Impfstoff blüht. Auch dem Bund wurden entsprechende Offerten gemacht. Danièle Bersier, Sprecher des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), bestätigt dem SonntagsBlick: «Uns wurden schon von verschiedensten Stellen Covid-19-Impfstoffe angeboten.» Der Bund verhandle aber nur direkt mit Vertretern von Impfstoffproduzenten.
In Visp wird beim Schweizer Chemieriese Lonza einer dieser hoch begehrten Impfstoffe produziert, beziehungsweise der Grundstoff für das Vakzin der US-Biotech-Unternehmens Moderna. Der Druck ist immens: Vor einer Woche vermeldete Moderna Lieferverzögerungen, auch die Schweiz ist betroffen. Recherchen von SonntagsBlick zeigen jetzt: Es fehlt vor allem an qualifiziertem Personal – das hat direkte Folgen für die Produktion des Vakzins.
An einer Medienkonferenz des internationalen Pharmaverbandes am Freitag machte Moderna-Chef Stéphane Bancel den Walliser Hersteller direkt für den Verzug verantwortlich. Als Grund gab Bancel an, dass sich bei Lonza die Anstellung von Fachkräften verzögere. Vor anderthalb Wochen fand ein Treffen zwischen Bundesrat Berset und Lonza-Verwaltungsratspräsident Albert Baehny statt. Dabei habe Baehny eingeräumt, dass in Visp derzeit 80 bis 100 Biotechnologiespezialisten fehlten. Lonza sei es bis dahin nicht gelungen, diese zu rekrutieren.
Das Innendepartement schreibt auf Anfrage von SonntagsBlick, man wolle Lonza «bei der anspruchsvollen Rekrutierung der Fachkräfte für die Produktion des Wirkstoffes für den Covid-19-Impfstoff unterstützen». Es klärt derzeit ab, «ob Spezialisten aus Bundesverwaltung, bundesnahen Betrieben und Hochschulen beigezogen werden können». Zudem wird geprüft, wie die Vermittlung von Mitarbeitenden aus Pharmabetrieben und weiteren Unternehmen zu unterstützen wäre – denn die Versorgung mit Moderna-Impfstoff «ist für die Schweiz von herausragender Bedeutung».
Doch nicht nur personelle Engpässe führen derzeit zu Lieferverzögerungen in aller Welt. Auch an Grundstoffen, die für die Herstellung der Impfungen benötigt werden, herrscht Knappheit. Michael Nawrath, Arzt und Pharmaanalyst, sagt: «Der Markt ist ausgetrocknet. Moderna und BionTech suchen händeringend nach diesen Grundstoffen.» Und: «Die Biotech-Unternehmen haben den Mund bei Ihren Ankündigungen, in welcher Zeit wie viele Dosen hergestellt werden können, etwas voll genommen», meint Nawrath gegenüber SonntagsBlick.
Die Frage stellt sich auch, selbst wenn alle, die geimpft werden wollen, das tun können, wie es mit dem Zertifikat weitergehen soll. Wer es bekommt und wer nicht. Denn: In der Schweiz haben sich weit mehr Personen mit dem Coronavirus infiziert, als offizielle Statistiken vermuten lassen. «Konservativ gerechnet, wurde rund ein Drittel der Bevölkerung seit Beginn der Pandemie infiziert», sagt Simone Buchmann, Sprecherin des Bundesamtes für Gesundheit (BAG). Das hat damit zu tun, dass viele Infizierte keine Symptome entwickelten oder sich trotz Symptomen nicht testen liessen, berichtet die «NZZ am Sonntag.» Mit sogenannten Antikörpertests können solche Fälle rückwirkend entdeckt werden. Die Frage stellt sich nun, ob so eruierte Fälle ebenfalls vom Covid-Zertifikat profitieren können, das Privilegien, etwa den Besuch von Veranstaltungen, ermöglicht. Und ob für diese Patienten eventuell auch nur eine Impfdosis reicht, wie dies bei Personen der Fall ist, die symptomatisch waren und einen positiven PCR-Test vorweisen können.
Christoph Berger, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen verneint: «Ein positiver Antikörpertest ist eine Momentaufnahme und sagt nicht genug über Schutz und Dauer aus.» Antikörpertests seien ein nicht zielführender Zusatzaufwand. Dennoch gibt es beim BAG Überlegungen in diese Richtung. «Diese Frage wird derzeit abgeklärt», sagt Buchmann. Auch Forscher Didier Trono, Mitglied der wissenschaftlichen Task-Force, sagt: «Es gibt durchaus Möglichkeiten, die neutralisierenden Antikörper gegen Covid-19 zuverlässig zu bestimmen.»