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Bundespräsident Guy Parmelin und Aussenminister Ignazio Cassis suchten am Wochenende die Öffentlichkeit: In mehreren Interviews warnten sie die EU vor negativen Folgen einer Politik der Nadelstiche.
Die Schweiz und die EU müssten weiterhin gemeinsam auf Lösungen hinarbeiten, die beiden Seiten Vorteile brächte. Das sagte Bundespräsident Guy Parmelin in seinem ersten Interview nach Bekanntgabe des Abbruchs der Verhandlungen zum Rahmenabkommen gegenüber der NZZ am Sonntag. Dabei warnte er vor einer «Politik der Nadelstiche» seitens der EU. «Nadelstiche macht man nicht, wenn man zu einem gemeinsamen Resultat kommen will», sagte Parmelin in Bezug auf offene Fragen, in denen die Schweiz auf weitere Verhandlungen angewiesen ist, etwa in Fragen der Bildung, des Handels und der gemeinsamen Energie- und Gesundheitspolitik.
In der europäischen Forschung etwa leiste die Schweiz wertvolle Beiträge. Konkret sei die Schweiz bereit, sechs Milliarden Franken an das Forschungsprogramm Horizon Europe zu bezahlen. Dies sei auch im Interesse der EU. «Was ist, wenn wir das nicht tun können, weil uns die EU die volle Teilnahme verweigert? Dann schwächt das den ganzen Forschungsstandort Europa gegenüber Asien und den USA», sagte Parmelin.
Die Schweiz brauche nun eine «direkte Verbindung zum wichtigsten Gesprächspartner in Brüssel», sagte Parmelin. Da der damalige EU-Präsident Jean-Claude Juncker die Verhandlungen über den Rahmenvertrag zur Chefsache erklärt hatte, sei auf Schweizer Seite nicht der Aussenminister, sondern der Bundespräsident Ansprechpartner der EU gewesen. Da dieser in der Schweiz jedes Jahr wechsle, bestehe hier eine Asymmetrie, die korrigiert werden müsse. Bereits am Samstag hatte Bundesrat Ignazio Cassis gegenüber SRF 1 erklärt, dass die Schweiz in Zukunft verstärkt auf ministerialer Ebene mit der EU und ihren Mitgliedern verhandeln wolle.
Am Wochenende äusserte sich Cassis zudem in grossen Interviews in der deutschen Zeitung «Frankfurter Allgemeine» und im französischen Blatt «Le Monde». Gegenüber letzterem stellte Cassis die Frage der Personenfreizügigkeit in den Vordergrund. Bei Abschluss der Bilateralen sei diese auch innerhalb der Union als eine Freizügigkeit der Arbeitnehmer verstanden worden. Seit 2005 habe die EU die Freizügigkeit aber dahingehend neu interpretiert, dass sie auch andere Rechte der EU-Bürger umfasse, etwa im sozialen Bereich. Die Schweiz sei als Nichtmitglied nicht bereit gewesen, diese Verschiebung mitzumachen.
Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen warnte Cassis, Versuche, die Schweiz unter Druck zu setzen, seien «kontraproduktiv»: «Wenn man Singapur oder Israel einen besseren Anschluss zu den europäischen Forschungsprogrammen bieten würde als der Schweiz, dann verstünden wir die Welt nicht mehr.»
Widerstand gegen die neue Linie des Bundesrates zeichnet sich im Inland ab. In einem Interview mit dem «Sonntagsblick» kündigte SVP-Präsident Marco Chiesa an, dass seine Partei die Freigabe der Kohäsionsmilliarde für die EU nicht mittragen werde. Der Bundesrat beabsichtigt, das für die Entwicklung ärmerer Länder vorgesehene und wegen der Aufhebung der Börsenäquivalenz durch die EU vom Parlament vorübergehend blockierte Geld als Zeichen des guten Willens freizugeben.
Solange weiterhin Diskriminierungen durch die EU bestünden, sei dies nicht statthaft, sagt nun Chiesa: «Unsere Position ist klar: Es gibt keine Kohäsionsmilliarde ohne Gegenleistungen oder Garantien der EU.»