Nach Tardoc-Rückweisung
«Vertrauensbruch»: Ärztepräsidentin Gilli geht mit dem Bundesrat hart ins Gericht

Nach der Rückweisung des neuen Ärztetarifs durch den Bund liegen die Nerven blank – vorab in der Ärzteschaft, aber auch bei Krankenkassenverbänden. FMH-Präsidentin Yvonne Gilli wirft dem Bundesrat «Vertrauensbruch» vor.

Samuel Thomi
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Yvonne Gilli, FMH-Präsidentin und St. Galler Grünen-Nationalrätin, kritisiert den Bundesrat scharf nach der Rückweisung des neuen Ärztetarifs Tardoc.

Yvonne Gilli, FMH-Präsidentin und St. Galler Grünen-Nationalrätin, kritisiert den Bundesrat scharf nach der Rückweisung des neuen Ärztetarifs Tardoc.

Michel Canonica

«Der Bundesrat erfindet immer wieder neue Spielregeln, um den Tardoc nicht zu genehmigen», sagte Yvonne Gilli in der «Samstagsrundschau» von Radio SRF. Die oberste Ärztin der Schweiz wirft der Landesregierung darum «Vertrauensbruch» vor. Der Bundesrat und insbesondere Gesundheitsminister Alain Berset sowie das ihm unterstellte Bundesamt für Gesundheit (BAG), wollen laut FMH-Präsidentin Gilli «die bestehende Tarifpartnerschaft schwächen» und den neuen Ärztetarif Tardoc «eigentlich gar nicht genehmigen».

Ihre happigen Vorwürfe begründet die St.Galler Grünen-Nationalrätin damit, dass ihr Ärzteverband – sowie der ebenfalls an Tardoc beteiligte Krankenkassenverband Curafutura – abgesehen von einer Eingangsbestätigung für den neuen Tardoc-Vorschlag nie vom Bund angehört worden seien.

«Man kann also sagen, uns wurde das rechtliche Gehör verweigert»

... sagt Yvonne Gilli. Zudem stütze sich der Bundesrat bei seinem Entscheid vom Freitag auf einen veralteten Prüfbericht von Ende 2020.

Dass der aktuelle Ärztetarif Tarmed überholt ist, darin sind sich zwar alle Beteiligten einig. Ebenso unbestritten ist, dass es in dem jahrelangen Streit um viel Geld geht. Sogar um sehr viel Geld: Um die neue Verteilung von jährlich 12 Milliarden Franken Gesundheitskosten unter der Ärzteschaft. So haben der Krankenkassenverband Curafutura und der Ärzteverband FMH denn auch bereits vier Anläufe genommen, um dem Bundesrat ein neues Regelwerk vorzulegen.

Kostenneutral – oder doch nicht?

Insbesondere punkto Kosten erfülle die jüngste, eben zurückgewiesene Tardoc-Variante die Vorgaben aber noch nicht, begründete Gesundheitsminister Alain Berset am Freitag vor den Medien in Bern den abschlägigen Entscheid. Dem widersprachen die Tarifpartner noch gleichentags an einer kurzfristig einberufenen Medienkonferenz. Der Vorschlag habe die Vorgabe der Kostenneutralität erfüllt, sagte etwa der Curafutura-Direktor. Und auch sonst entspreche der Tardoc allen gesetzlichen Vorgaben.

Am Samstag setzte Ärzte-Präsidentin Yvonne Gilli im Radiointerview dann noch einen oben drauf: Sie habe inzwischen schlicht den Eindruck, Bundesrat Berset «arbeitet auf einen Amtstarif hin». Bereits am Freitag hatte der Gesundheitsminister wiederholt betont, der Tardoc sei eine gute Grundlage, auch seien bereits grosse Fortschritte gemacht worden. Und der Bundesrat setze weiterhin auf eine Einigung der Gesundheitsbranche. Laut Berset haben die Tarifpartner nun Zeit, bis Ende 2023 einen neuen Vorschlag für einen Ärztetarif einzureichen. Bis zur Genehmigung eines solchen durch den Bundesrat bleibt schlicht der alte Tarmed in Kraft.

Konkurrenz ruft zur Zusammenarbeit auf

Der Spitalverband H+ und der zweite Krankenkassenverband Santésuisse wiederum begrüssten am Freitag den Entscheid des Bundesrats, den Tardoc nicht zu genehmigen. H+ rief die Tarifpartner auf, gemeinsam den Tardoc und die ambulanten Pauschalen weiterzuentwickeln. Santésuisse erklärte, der Bundesrat mache mit der Rückweisung den Weg frei «für ein gemeinsames Vorgehen aller Tarifpartner». H+ und Santésuisse verfolgten in dem Thema bislang einen anderen Ansatz: Sie haben einen Ärztetarif erarbeitet, der sich aus Pauschalen für den ambulanten Bereich zusammensetzt.

Dass der Bundesrat den Ärztetarif Tardoc in seiner vorliegenden Form nicht genehmigen würde, hatte sich abgezeichnet. Bereits vor zwei Wochen hatte Alain Berset seinen Regierungskolleginnen und -kollegen eine Nicht-Genehmigung beantragt, wie diese Zeitung gestützt auf gut informierte Quellen berichtete. Wie die seit Jahren zerstrittenen Akteure einen gemeinsamen Weg finden wollen, steht allerdings in den Sternen.