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Schweiz (Nachrichten)
Vor 50 Jahren erhielten die Frauen das Stimmrecht und konnten endlich mitreden. Doch aus Sicht von SP und Grünen dürfen zu viele Einwohner noch immer nicht mitreden. Deshalb fordern sie jetzt das Ausländerstimmrecht.
Die Schweiz sah sich als vorbildliche Demokratie. Dabei war die Hälfte der Bevölkerung von der Mitbestimmung ausgeschlossen. Erst vor 50 Jahren wurde das Frauenstimmrecht eingeführt.
Nun, am 7. Februar, dem Tag des Jubiläums, lanciert die SP eine Petition, um darauf aufmerksam zu machen, dass noch immer viele Leute im Land von politischen Entscheiden ausgeschlossen sind: Die Ausländerinnen und Ausländer. «Rund 1,5 Millionen Erwachsene können nicht einmal in ihrer Gemeinde abstimmen», sagt SP-Nationalrat Musafa Atici (BS).
«Dies ist ein Demokratiedefizit.»
Atici will das Thema nun mittels parlamentarischer Initiative ins Parlament bringen. «Die Schweiz des 21. Jahrhunderts ist vielfältig. Es passt nicht mehr in unsere Zeit, ganze Bevölkerungsgruppen von demokratischen Entscheidungsinstrumenten auszuschliessen», sagt der Präsident der SP-MigrantInnen Schweiz.
Spätestens nach fünf Jahren im Land sollen Einwohner ohne Schweizer Pass demnach auf Gemeindeebene mitreden dürfen. «605 Gemeinden in sieben Kantonen kennen das Stimm- und Wahlrecht für alle Mitbürger bereits», sagt Atici. «Sie haben hervorragende Erfahrungen gemacht.» Wer umziehe verliere aber seine Rechte wieder. Atici dazu:
«Niemand käme auf die Idee, den Frauen das Stimmrecht in einigen Gemeinden zu gewähren und in anderen nicht.»
In vielen Kantonen sind entsprechende Vorhaben von der politischen Linken bereits eingebracht worden; sie haben einen schweren Stand. Es dürfte auch jetzt nicht überall auf Gegenliebe stossen, wenn Bundesbern den Gemeinden Vorschriften machen will. Und Gegner sagen: Wer mitbestimmen wolle, könne sich jederzeit einbürgern lassen. In der Realität gebe es jedoch viele Hürden, die einer Einbürgerung entgegenstünden, sagt Mustafa Atici. Und die Einbürgerung wäre nach wie vor für alle notwendig, die auf Kantons- oder Bundesebene abstimmen wollen. Atici sagt: Die Schweiz drohe wie beim Frauenstimmrecht wieder ins Hintertreffen zu geraten. «Die Europäische Union hat mit dem Vertrag von Maastricht die vollen politischen Rechte für alle Unionsbürger und Unionsbürgerinnen auf kommunaler Ebene eingeführt.»
Die SP ist nicht die einzige Partei, die sich des Themas annimmt. Auch die Grünen haben angekündigt, in der März-Session einen entsprechenden Vorstoss zu lancieren - mit einem grossen Unterschied: Die Grünen wollen das Ausländerstimmrecht allerdings auf Bundesebene, nicht in den Gemeinden. Parteipräsident Balthasar Glättli sagt dazu:
«Wir wollen die Grundsatzdebatte führen: Menschen, die hier in der Schweiz leben, arbeiten, Steuern zahlen müssen, sollen auch mitbestimmen können.»
Auch das Frauenstimmrecht sei einheitlich auf Schweizer Ebene eingeführt worden, «bevor es in allen Kantonen galt».
«Die Schweizer Demokratie bleibt unvollkommen», blickt Glättli 50 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts auf die Schweiz. In gewissen Gemeinden könne die Hälfte der Einwohner nicht mitreden, weil sie zu jung sei, einen Beistand habe oder Ausländer sei. Dagegen dürften Auslandschweizer abstimmen, auch wenn sie noch nie in der Schweiz gelebt haben.
Zuletzt hatten die Grünen bereits einen vorläufigen Erfolg erlangt, was eine breitere Mitbestimmung betrifft: Beim Stimmrechtsalter 16. Nach dem Nationalrat hat sich vergangene Woche auch die staatspolitische Kommission des Ständerates dafür ausgesprochen. Nun wird ein Gesetzestext erarbeitet. Im November hatten zudem die Genferinnen und Genfer Ja gesagt zum Stimm- und Wahlrecht für Menschen mit psychischer oder geistiger Beeinträchtigung.
Glättli rechnet damit, dass mehrere Anläufe nötig sein könnten für das Ausländerstimmrecht. Doch der lange Kampf habe sich beim Frauenstimmrecht auch gelohnt.