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Das hat es seit 2008 nicht mehr gegeben: Die Prämien der Grundversicherung sinken im Schweizer Mittel. Zwar sind die Unterschiede zwischen den Kantonen gross, doch insgesamt werden die Schweizer Haushalte im nächsten Jahr leicht entlastet. Wie ist das während einer Jahrhundertkrise möglich? Die wichtigsten Antworten.
Noch zu Beginn der Pandemie vor neunzehn Monaten warnten Beobachter vor einem massiven Anstieg der Gesundheitskosten. Je nach Schwere des Krankheitsverlaufs bei einem Covid-19-Patienten kann die Behandlung mehrere zehntausend Franken kosten. Zudem wurden während der zweiten Welle (Ende 2021) deutlich mehr Menschen hospitalisiert als noch in der ersten Welle. Gemäss groben Schätzung für das Jahr 2020 entstanden wegen Corona Kosten in der Höhe von 233 bis 274 Millionen Franken. Allerdings konnte wohl ein Teil über ausbleibende oder aufgeschobene Operationen kompensiert werden. Das Bild ist noch diffus, weil nicht alle Folgen der Krise absehbar sind. Gesundheitsminister Alain Berset wies darauf hin, dass wir über die längerfristigen Kosten wie Longcovid, psychische Krankheiten und aufgeschobene Behandlungen noch keine Vorstellungen haben. Der Bundesrat will deshalb bis 2022 darüber einen Bericht verfassen.
Der Hauptgrund ist wohl: Die Prämien müssen den Kosten des Folgejahrs entsprechen. Und diese basieren auf Schätzungen der Versicherer. Laut Santésuisse sind im Jahr 2020 die Kosten in der Grundversicherung mit 1,1 Prozent stärker gestiegen, als es angesichts des mehrwöchigen Behandlungsstopps zu erwarten gewesen wäre. Gleichzeitig haben die Versicherungen 2019 einen stärkeren Kostenanstieg vermutet. Nicht zum ersten Mal. Gemäss Thomas Christen, Vizedirektor des Bundesamts für Gesundheit, budgetierten die Kassen in den letzten Jahren stets zu grosszügig. Daraus ergaben sich Überschüsse, die Spielraum geben, um die Prämien nun tief zu halten.
Nein. Die Gesundheitskosten steigen weiterhin - und mit ihnen die Prämien. Der Bundesrat hat heuer einen Kniff angewendet: Er hat über eine neue Verordnung die Krankenkassen dazu gebracht, die Reserven zugunsten tieferen Prämien einzusetzen. Konkret bewilligte der Bundesrat einen Reservenabbau für 2022 in der Höhe von 380 Millionen Franken. Gleichzeitig ermöglichen die üppigen Reserven von über 12 Milliarden Franken eine knappere Berechnung der Prämien, wie Alain Berset erklärte. «Wir können dank der Reserven verhindern, dass die Prämien Achterbahn fahren.» Er meint, dass ein Prämienschock wie 2010 nicht mehr passiert. Damals wurden zuerst die Prämien gesenkt, was unmittelbar einen Nachholbedarf auslöste. 2010 stiegen die Prämien um über 8 Prozent. Der Bundesrat will solche Sprünge künftig verhindern und über die Reserven die Prämien mittelfristig stabilisieren.
Der Umkehrschluss deutet darauf hin, ja. Diese Rechnung sei «naturgemäss schwierig», relativiert BAG-Vize Thomas Christen. Grundsätzlich geht der Bundesrat davon aus, dass die Alterung der Gesellschaft sowie der medizinisch-technische Fortschritt die Kosten steigern. Gleichzeitig widerspiegeln die Kosten der Grundversicherung auch nicht die gesamthafte Entwicklung. Die Spitäler tragen aktuell die grosse Last der Corona-Pandemie. Gemäss Angaben des Spitalverbands entstanden durch das Behandlungsverbot im letzten Jahr ungedeckte Kosten in der Höhe von rund 900 Millionen bis 1,1 Milliarden Franken. Wer diese Kosten übernimmt, ist weiterhin unklar.
Im Schweizer Durchschnitt zahlen die Versicherten im 2022 rund 70 Rappen weniger Krankenkassenprämien pro Monat als noch im Vorjahr. Das entspricht einem durchschnittlichen Minus von 0,2 Prozentpunkten. Die mittlere Prämie liegt neu bei 315,30 Franken. Im Mittel der letzten 10 Jahre stiegen die Prämien um jährlich 2,4 Prozent, zwischen 1996 und 2018 stiegen sie im Schnitt um 4 Prozent. Das heisst: Zuletzt flachte die Prämiensteigerung deutlich ab. Abhängig von Kanton, Alter und Versicherer verändern sich die Prämien auch 2022 sehr unterschiedlich. Nicht alle Versicherten können profitieren.
Das Gesundheitswesen ist in der Hand der Kantone, sie bestimmen über die Versorgungsdichte, wie etwa die Anzahl Spitäler. Auch sind die Bedürfnisse und Gewohnheiten in den Kantonen unterschiedlich.
Laut Bundesrat ist die Koinzidenz zufällig. In vierzehn Kantonen können sich die Versicherten über tiefere Prämien freuen, darunter vor allem die Baslerinnen und Basler sowie Genferinnen und Genfer. In diesen Kantonen sinken die Prämien im Schnitt um mehr als acht, beziehungsweise sechs Franken im Monat. Allerdings haben die beiden Kantone bereits die höchsten Prämien (siehe Grafik rechts). In den meisten Kantonen bleiben die Prämien indes stabil oder ändern sich nur marginal, um nicht einmal einen Franken. Ausnahmen sind Glarus und Obwalden. Dort haben wichtige Versicherer zuletzt die Prämien knapp berechnet, das wird nun über eine Erhöhung von um die drei Franken und mehr korrigiert. Bei allen genannten Zahlen handelt es sich um einen Durchschnittswert: Je nach Krankenkasse und Versicherungsmodell ändert sich die Anpassung wieder. In Genf variieren die Kosten in der Grundversicherung um 700 Franken pro Monat. Es lohnt sich deshalb, das Angebot der eigenen Versicherung mit anderen zu vergleichen (siehe Kasten).
Bundesrat Berset betonte mehrmals, dass die Stabilisierung der Prämien nur möglich war dank fast jährlich durchgeführten Eingriffen oder Reformen. «Die Arbeit ist nie zu Ende.» Das sagt er natürlich auch im Hinblick auf zwei Massnahmenpakete, die er durchs Parlament bringen will: Erstens will er die Generikapreise senken. Und zweitens will er im Gesundheitswesen ein Kostenziel einführen, damit mögliche Auswüchse besser kontrolliert werden können. Auch die Versicherer weisen trotz «erfreulicher» Entwicklung auf anstehende Reformen hin - und die Notwendigkeit derer Umsetzung.