Sie fürchten negative Auswirkungen für die berufliche Karriere und Anfeindungen: 12 Mitglieder der Jugendkomitees gegen die «Ehe für alle» bevorzugen es, anonym zu bleiben. Braucht es mehr Mut, sich öffentlich gegen die Gesetzesänderung zu stellen als dafür?
Er sei ein «Schmalhirn», «labere Bullshit», sei eine Art Taliban: Auf Timmy Frischknecht, Maschineningenieur ETH und Präsident der Jungen EDU prasseln derzeit via soziale Medien und E-Mails allerlei Beleidigungen nieder. Beim Verteilen von Flyern und bei Standaktionen wird er oft als religiöser Fanatiker angefeindet. Der 25-Jährige, Sohn von EDU-Präsident Daniel Frischknecht und Pressesprecher des Ende August gegründeten Jugendkomitees gegen die Ehe für alle, ist in seiner Generation Wortführer einer Minderheit.
Gemäss einer aktuellen Umfrage des Forschungsinstituts GFS Bern befürworten 75 Prozent der 18- bis 39-Jährigen die «Ehe für alle». Die Zustimmung zur Vorlage, die homosexuellen Paaren die Adoption und lesbischen Paaren den Zugang zur Samenspende ermöglicht, ist generell hoch. Frischknecht und seine Mitstreiter wollen das Ruder herumreissen. Sie argumentieren, die gleichgeschlechtliche Elternschaft schade dem Kindswohl und weibeln für ein Nein am 26. September.
Doch manche junge «Ehe-für-alle»-Gegner getrauen sich nicht, öffentlich Haltung zu zeigen. 12 Komitee-Mitglieder werden auf der Homepage anonym aufgeführt – «aus berechtigter Angst vor Diskriminierung und Diffamierung», wie dort nachzulesen ist. Die ständige Propaganda der LGBT-Lobby und die «Cancel Culture» unserer Zeit hätten die traurige Folge, dass sich junge Menschen nicht mehr getrauten, offen für ihre Meinung einzustehen.
Es ist eine Tatsache, dass in den sozialen Medien junge Gegner der Ehe für alle schon als hinterwäldlerische, homophobe Ewiggestrige abgekanzelt wurden. Bloss: Das passiert auch anderen Personen, die sich zu anderen politisch kontrovers diskutierten Themen äussern. Sind die jungen Ehe-für-alle-Gegner Mimosen? Frischknecht verneint und sagt: «Ich kann jene, die nicht mit Namen hinstehen, verstehen.» Viele fürchteten negative Konsequenzen in der Arbeitswelt, sagt Frischknecht.
Gemäss Recherchen von CH Media kommt diese Angst nicht gänzlich aus dem Nichts. So erhielt ein Komitee-Mitglied neulich eine Absage auf eine Bewerbung mit der Begründung, sein Gedankengut bezüglich homosexuellen Personen sei verkehrt. Ein anderes, Student der Filmwissenschaften, bangt im Falle eines Outings als Ehe-für-alle-Gegner um seine Karriere.
Braucht es heutzutage mehr Mut, sich politisch gegen als für die Ehe für alle zu positionieren? Für Michael Hermann, Politgeograf und Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Sotomo, lautet die Antwort: «Ja.» Die Mehrheitsverhältnisse hätten sich in dieser Frage gedreht. Auch viele Unternehmen würden sich zu Diversität bekennen.
«Zumindest auf politischer Ebene ist angesagt, bei diesem Thema tolerant zu sein.»
Für Hermann sagt die Furcht vor dem öffentlichen Positionsbezug auch generell etwas über die Diskussionskultur in den sozialen Medien aus. «Es gibt diverse kontroverse Themen, bei denen man sich gegenseitig hochschaukelt. Die Hemmschwelle, Personen mit gegenteiligen Positionen niederzumachen, sinkt, es braucht nur einen Mausklick.»
Hermann sagt, der Ton in den sozialen Medien vergifte zu einem gewissen Grad das politische Klima. Eine lautstarke, kämpferische Minderheit, die das Leben als Konflikt sehe, übertöne die grosse Mehrheit, die andere Meinungen respektiere. Hermann spricht auch von einer «Intoleranz der Toleranten». Diese hätten manchmal keine Empathie für andere politische Meinungen, weil sie sich auf der Seite der Guten und Unterdrückten wähnten.
Jan Müller, Sprecher des Komitees für die Ehe für alle, bedauert, dass sich einige junge Gegner in der Anonymität verstecken. Es brauche eine politische Kultur, in der auch Argumente der Gegenseite respektiert würden. In den sozialen Medien vermisse er das manchmal. Müller gibt zu bedenken, dass im realen Leben immer noch viele Homosexuelle es vorziehen, ihre sexuelle Orientierung für sich zu behalten aus Angst vor negativen Reaktionen. Und er berichtet, dass auch Befürworter auf verschiedene Weise angefeindet würden, zum Beispiel durch Kicken in einen Rucksack in Regenbogenfarben.
Michel Rudin, Co-Präsident des Schwulenverbandes Pink Cross, sagt: «Wenn ein Internetmob über jemanden herfällt, ist das hochgradig unangenehm.» Das Klima zur Ehe für alle im politischen Diskurs sei bloss eine Ebene. Rudin gibt zu bedenken, viele Homosexuelle fürchteten auch im Jahr 2021 im Falle eines Outings negative Reaktionen im familiären, beruflichen oder kirchlichen Umfeld. «Viele Pink-Cross-Mitglieder bleiben anonym, das gilt auch für zahlreiche Spender.» Sie wollten kein Zwangsouting riskieren. Tatsache ist auch: Gerade im Ausgang werden vorab schwule Männer aufgrund ihrer sexuellen Orientierung immer noch häufig körperlich attackiert.
Michael Frauchiger, Mitglied der Zürcher SVP, hat ein SVP-Komitee für die Ehe für alle auf die Beine gestellt. Er sagt an die Adresse der jungen Gegner, man dürfe Reaktionen in sozialen Medien nicht überbewerten. Frauchiger erlebt auch als Befürworter Gegenwind. Manchmal erhält er Briefe von Seniorinnen, die ihn an die «schöpferische Ordnung» mahnen, die keine homosexuellen Personen vorsehe. Solche Schreiben quittiert er mit einem Schmunzeln. Er weist aber darauf hin, dass auch diverse SVP-Befürworter lieber nicht mit Namen im Pro-Komitee auftauchen. «Sie befürchten, sie könnten damit die konservativen Wähler vor den Kopf stossen.»