Nationalfeiertag
Zum 1. August: Welt schlecht, Schweiz gut?

Hans Fahrländer widmet sich in seiner Kolumne dem bevorstehenden Nationalfeiertag. Fahrländer arbeitete von 1979 bis 2015 in verschiedenen Funktionen für diese Zeitung, unter anderem als Chefredaktor. Heute kommentiert er das nationale und regionale Geschehen. Er ist Mitglied des Publizistischen Ausschusses der AZ Medien.

Hans Fahrländer
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Die Schweiz feiert am 1. August ihren Nationalfeiertag – und blickt mehrheitlich optimistisch in die Zukunft.

Die Schweiz feiert am 1. August ihren Nationalfeiertag – und blickt mehrheitlich optimistisch in die Zukunft.

KEYSTONE/ENNIO LEANZA

Es naht der Nationalfeiertag, nicht gerade mit Brausen, aber doch unübersehbar, vor allem in den Warenhäusern (Fähnlein, Knallkörper). Die Debatte, welches denn nun der richtige Geburtstag der richtigen Schweiz sei, ist zum Glück etwas abgeflaut. Dass der Bundesbrief von 1291 eventuell gefälscht oder falsch datiert, sicher aber von untergeordneter Bedeutung ist, dass die Tell-Sage um 1470 aus einer dänischen Chronik in die Schweizer Geschichte eingefügt worden ist, das alles sorgt heute für weniger ideologisch unterlegte Aufregung als noch vor ein paar Jahren. Hauptsache, wir denken einmal im Jahr über das Werden und Sein unseres schönen Landes nach, ob Anfang August oder Mitte September (12. September 1848: Gründung des modernen Bundesstaates), ist von sekundärer Bedeutung.

Wie geht es der Schweiz an ihrem 726. Geburtstag? Der Bundesrat hält in seinem jüngsten Sicherheitsbericht fest, die Lage für unser Land habe sich verschlechtert. Dschihadistischer Terror, Cyberangriffe, die totale Unberechenbarkeit an der Spitze der (ehemaligen?) Führungsmacht USA – die Welt ist unsicher geworden, noch unsicherer als zur Zeit des Kalten Krieges. Soweit die objektive Lage. Das subjektive Gefühl von Herrn und Frau Schweizer ist ähnlich: Man traut der Welt sozusagen nicht mehr über den Weg. In seltsamem Kontrast dazu allerdings: Das Sicherheitsempfinden im eigenen Land ist gegenüber den Vorjahren gestiegen, die Zukunft der Schweiz wird von einer soliden Mehrheit optimistisch eingeschätzt. Welt dunkelgrau, Schweiz rosarot – wie geht das zusammen? Hat sich das Verschontwerden in zwei Weltkriegen sozusagen in unseren Genen festgesetzt? Dabei ist offenkundig: Unsere Vernetzung mit der übrigen Welt ist heute beinahe total. Nun, es liegt nicht an uns, Meinungsumfragen, subjektives Empfinden also, zu kommentieren. Wir hoffen einfach, es gebe nicht ein böses Erwachen.

Vorreiter der rechtspopulistischen Welle in Europa

Die Schweiz war eines der ersten Länder Europas mit einer isolationistisch-populistischen nationalkonservativen Partei, jedenfalls das erste, in welchem diese Partei inert kurzer Zeit zur stärksten Kraft durchmarschiert ist. Zum Glück verunmöglicht unser Vielparteien-System die totale Dominanz einer Gruppierung oder Weltanschauung. Doch die Debatte in diesem Land war lange Jahre polarisiert und blockiert. Hier die SVP mit einem klaren Gesellschaftsmodell, dort die übrigen Parteien, die sich vor allem mit der Abwehr des SVP-Modells beschäftigten und eigene Zielformulierungen vernachlässigten. Nun mehren sich die Anzeichen, dass diese Polarisierung gemildert werden könnte. Die FDP, von der SVP lange an die Wand gespielt, ist wieder erstarkt, die SVP bringt ihre Anliegen immer weniger durch. So unterlag sie etwa bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative, bei der Unternehmenssteuerreform oder bei der Energiewende. Auch das prognostizierte «Asylchaos» ist ausgeblieben, die Asylanträge gehen zurück. Die Schweiz gewinnt, wenn die SVP von der Überfliegerin wieder zur normalen Kraft im Parteienspektrum wird. Noch steht allerdings eine harte Kraftprobe bevor: Die SVP will die «Normenhierarchie» zwischen Landesrecht und Völkerrecht klar zugunsten des Ersteren verschieben. Im Visier hat sie dabei die Europäische Menschenrechtskonvention. Mit einer Annahme dieser Initiative würden wir uns weitgehend aus der Völkerfamilie verabschieden.

Verliert die Politik das Primat bei der Zukunftsgestaltung?

Zu reden wäre aber noch über eine andere Gefahr. Darüber nämlich, dass die Politik beim Sturmlauf in die digitale Zukunft insgesamt an Bedeutung verliert. Man wird mitunter das Gefühl nicht los, die Parteien verkrallten sich bei der Zukunftsgestaltung in Nebensächlichkeiten. Die Post geht woanders ab, in der Wirtschaft, in den digitalen Entwicklungslabors, in den sozialen Medien. Der digitale Wandel verändert unser Leben – und natürlich wird sich auch unsere Arbeitswelt dramatisch verändern. Immer neue Internetinnovationen bringen bisher gültige Wahrheiten ins Wanken. Die Antworten der Politik auf diese Revolution sind vage bis inexistent. Schöne Aussichten sind das nicht. Wer kümmert sich dann noch um die Organisation und den sozialen Ausgleich innerhalb der Gesellschaft? Die Politik sollte sich dringend bemühen, näher an den realen Entwicklungen zu agieren und das Primat über die Zukunftsgestaltung zurückzugewinnen. Für überkommene Hahnenkämpfe und eitle Profilierungsversuche hat es dann keinen Platz mehr.