Georg Müller ist Prof. emerit. für Staats- und Verwaltungsrecht und Gesetzgebungslehre an der Universität Zürich. In seinem Gastkommentar schreibt er über Unabhängigkeit, Leistungsauftrag und Finanzierung der SRG.
Die Bundesverfassung sieht in Art. 93 vor, dass Radio und Fernsehen zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung beitragen. Sie berücksichtigen die Besonderheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone. Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck. Die Unabhängigkeit von Radio und Fernsehen sowie die Autonomie in der Programmgestaltung muss gewährleistet werden. Die Unabhängigkeit ist vor allem gegenüber dem Staat wichtig, weil Radio und Fernsehen ihre Aufgabe als Teil der «vierten Gewalt» nur erfüllen können, wenn sie ohne Beeinflussung durch Organe des Staates über deren Handlungen und Entscheide berichten und sie kritisieren können. Aber auch von Privaten – den Eigentümern von Fernseh- und Radiostationen und denjenigen, welche den Betrieb mit Werbegeldern finanzieren – sollten Radio und Fernsehen möglichst unabhängig sein.
Der in der Verfassung umschriebene Leistungsauftrag richtet sich an den Bundesgesetzgeber: Er hat durch entsprechende Regelungen dafür zu sorgen, dass Radio und Fernsehen die von der Verfassung umschriebenen Ziele erreichen, Leistungen erbringen und Kriterien beachten. Dazu gehört auch die Sicherstellung einer ausreichenden Finanzierung. Da der schweizerische Werbemarkt zu klein ist, um eine Finanzierung der Leistungen von Radio und Fernsehen ausschliesslich durch Werbeerträge zu ermöglichen, muss der Bund öffentliche Mittel dafür einsetzen.
Der Gesetzgeber hat verschiedene Möglichkeiten, um die Finanzierung von Radio und Fernsehen sicherzustellen. Er muss dabei allerdings den Grundsatz der Unabhängigkeit von Radio und Fernsehen beachten. Das bedeutet insbesondere, dass Entscheidungen über die Finanzierung nicht zu einer Beeinflussung der Programmgestaltung führen dürfen. Aus diesem Grunde ist eine Finanzierung durch allgemeine Mittel über das Budget des Bundes unzulässig, weil die jährliche Bewilligung der erforderlichen Kredite das Risiko der Einflussnahme durch die Politik zu stark erhöht: Es müssen deshalb besondere öffentliche Abgaben erhoben werden, deren Ertrag die Kosten für die Erfüllung des Leistungsauftrages deckt, soweit die Werbe- und anderen Einnahmen dazu nicht ausreichen.
Es handelt sich dabei nicht um Steuern, die voraussetzungslos, d.h. unabhängig vom konkreten Nutzen der steuerpflichtigen Person, geschuldet sind, sondern um Kausalabgaben oder Kostenanlastungsabgaben, die – wie Gebühren – als Gegenleistung für eine staatliche Leistung zu entrichten sind, im Fall der Medienabgabe für das Recht, die Programme der SRG zu empfangen. Ob davon Gebrauch gemacht wird oder nicht, spielte schon nach bisherigem Recht keine Rolle. Das Bundesgericht liess es genügen, dass in einem Haushalt oder einem Unternehmen (die entgegen einer verbreiteten Ansicht schon bisher abgabepflichtig waren) ein Empfangsgerät vorhanden war. Nach neuem Recht schulden grundsätzlich alle Haushalte und Unternehmen die Abgabe, weil der Gesetzgeber davon ausgeht, dass es in jedem Haushalt oder Unternehmen ein Gerät (z.B. ein Computer oder ein Smartphone) gibt, mit welchem Programme der SRG empfangen werden können.
Die Höhe der Abgabe legt der Bundesrat fest – auch das galt schon bisher. Sie sollen die Kosten der SRG und der privaten Sender, die einen Leistungsauftrag erfüllen, decken. Je mehr Leistungen der Gesetzgeber vorschreibt, desto höher sind die Kosten der Programmveranstalter und damit die pro Haushalt bzw. Unternehmen zu entrichtenden Abgaben.
Die «No Billag»-Initiative will Abgaben und Subventionen zur Finanzierung der SRG und der privaten Sender verbieten. Sie sieht konsequenterweise auch keinen Leistungsauftrag für die Veranstalter von Radio- und Fernsehprogrammen mehr vor. Die Programme sollen sich nach der Nachfrage der Konsumenten richten; der Wettbewerb soll zu einer Vielfalt an Leistungen führen. Dagegen wird die Unabhängigkeit von Radio und Fernsehen nach wie vor gewährleistet. Es ist allerdings kaum vorstellbar, wie die privaten Unternehmen, welche Radio- und Fernsehprogramme verbreiten, ihre Unabhängigkeit gegenüber den sie finanzierenden Sponsoren und Werbekunden wahren können.
Es zeigt sich also, dass zwischen der Unabhängigkeit, dem Leistungsauftrag und der Finanzierung von Radio und Fernsehen ein enger Zusammenhang besteht. Bei einer Finanzierung durch Private, wie sie die «No Billag»-Initiative vorsieht, können den Veranstaltern keine Auflagen gemacht werden, um eine breite, ausgewogene Information sicherzustellen. Auch die Unabhängigkeit ist gefährdet, wenn die Finanzierung nicht mehr vorwiegend durch öffentliche Abgaben erfolgt. Es geht bei der Abstimmung über die Initiative um viel mehr als die Abschaffung der «Zwangsabgaben» (übrigens gibt es nur «Zwangsabgaben»; wer freiwillig Abgaben bezahlt, macht dem Staat ein Geschenk!), nämlich um eine völlig neue Umschreibung der Aufgaben und Stellung von Radio und Fernsehen.