Ein Gastkommentar von Agronom Thomas Kessler über die Warnsignale aus Brasilien und den USA.
Mit der Wahl von Jair Bolsonaro wird nun auch das grösste lateinamerikanische Land von einem Hetzer und Diktatur-Fan regiert. Sein Vorgänger Lula de Silva sitzt wegen Korruption im Gefängnis. Der Rechtsstaat hat trotz allen Druckversuchen funktioniert, mutige Justizbehörden und Richter haben ein gigantisches Korruptionsnetz offengelegt.
Im Norden des Kontinents geht die Saat des Hasses bereits auf, Demokraten und die CNN erhalten Bomben zugeschickt, ein bewaffneter Antisemit bringt betende Juden um und verletzt Polizisten. In der aggressiven politischen Wende hin zu öffentlicher Hetze und Gewalt gegen Minderheiten, politische Gegner und die Hüter des Rechtsstaates spielt der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte mit Sitz in Costa Rica eine zunehmend wichtigere Rolle.
Die Durchsetzungsmöglichkeiten sind zwar nicht vergleichbar mit jenen des Europäischen Gerichtshofs, doch die Urteile haben zumindest in Lateinamerika durchaus Wirkung – zum Beispiel gegen die homophoben Tendenzen in der offiziellen Politik einiger Länder.
Als Referenz dient dem Interamerikanischen Gerichtshof der Europäische und als Musterland für Vertragstreue und Rechtsstaatlichkeit die Schweiz. In über 98 Prozent der vorgelegten Fälle erfüllt die Schweiz bereits alle Anforderungen der EMRK, in nur 1,6 Prozent gibt es Anpassungsbedarf in Gesetzlichkeit und Anwendung.
Überhaupt ist die Zuverlässigkeit in den Beziehungen und Verpflichtungen ein global leuchtender Pluspunkt der Schweiz, mit ein Grund für unseren Erfolg im Handel. Ob in Chile, Tunesien oder den Philippinen, überall wo ich zu tun hatte, zeigten sich die Gesprächspartner jeweils begeistert von der Solidität der Verträge und Dienstleistungen – sogar mit Servicesicherheit über Generationen hinaus.
Dass nun ausgerechnet in der Schweiz eine Initiative diese ausgezeichnete Position relativieren und uns ins untere Mittelmass zurücksetzen will, ist mehrfach absurd und wird von den Partnern nicht verstanden. Wenn schon müssten wir die Spitzenposition absichern und im Land selber mit genügend Ressourcen für den zügigeren Vollzug den Rechtsstaat zusätzlich stärken.
Je populistischer die Nachbarn regiert werden und je willkürlicher die Grossmächte auftreten, je grösser wird unser Vorteil als Rechtsstaat und je wichtiger das Beispiel für den Respekt vor internationalen Verpflichtungen. 5000 Verträge sichern unsere Position in der Welt ab.
Die politische Regression in vielen Ländern sollte uns eine Warnung sein und zur Prioritätensetzung mahnen. Am Anfang kommt stets das Wichtigste, die Vermeidung von Krieg und Gewalt, die Stärkung von Frieden und Rechtsstaatlichkeit, die Einhaltung der Menschenrechte und florierende Partnerschaften.
Zweitens sind im Land selber die Chancengerechtigkeit, gegenseitiger Respekt und Fairness in allen Belangen wichtig – in der Pflege einer reifen Streitkultur und mit zivilgesellschaftlichem Engagement. Die Prävention gegen Hetze, Ausgrenzung und Gewalt beginnt im Alltag, zum Beispiel auch mit der Wertschätzung für jene Helfenden und Schützenden, die ihre schwierige Arbeit für den Rechtsstaat und die Solidargemeinschaft täglich loyal leisten.
Dass die einen unsere Institutionen schwächen wollen und die anderen – wie kürzlich in Bern – nicht nur gegen Patriarchat und Rassismus demonstrieren, sondern gleich noch gegen den demokratischen Rechtsstaat, zeigt die Wohlstands-Verwirrung an beiden Enden des politischen Spektrums auf.