Gesundheitswesen
Wo bleibt der Blick aufs Ganze?

Willi Morger
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Den Krankenversicherungen fehlt der Anreiz, die Patienten wieder an den Arbeitsplatz zurückzubringen. (Symbolbild)

Den Krankenversicherungen fehlt der Anreiz, die Patienten wieder an den Arbeitsplatz zurückzubringen. (Symbolbild)

Die Schweiz verfügt über ein ausgezeichnetes, aber teures Gesundheitswesen. Wollen wir das Kosten-Nutzen-Verhältnis verbessern, müssen die Auswirkungen auf die gesamten Sozialversicherungsleistungen und die Sozialkosten in die Beurteilung einbezogen werden. Dieser Blick auf das Ganze scheint den aktuellen Gesundheitspolitikern zu fehlen! Sie verlieren sich auf Nebenschauplätzen und suchen nach punktuellen Verbesserungen. Im Gesundheitswesen können optimale Resultate erzielt werden, wenn die Zusammenarbeit aller Beteiligten gut funktioniert. Das sind Patient, Angehörige, Arzt, Therapeut, Spital, Versicherung und Arbeitgeber. Aufgabe der Versicherung soll sein, die Patienten zu begleiten und zu betreuen und die Qualität der Leistungserbringer und deren Kosten zu überwachen. Man nennt diese Methode «Integrierte Versorgung». Wenn Ärzte und Spitäler in einem solchen Modell mitwirken, werden deren Kosten zu Investitionen, damit deutlich geringere Sozialversicherungsleistungen und Soziallasten entstehen.

An der engen Zusammenarbeit der Beteiligten scheint es aktuell aber zu mangeln. Die längst fällige Revision des Arzttarifes «Tarmed» dürfte insbesondere unter der fehlenden Geschlossenheit zwischen Zentralvorstand und den Fachgesellschaften der FMH einerseits und den unterschiedlichen Auffassungen zweier Krankenkassenverbände andererseits leiden. Die Politik schaut hilflos zu. Niemand kommt auf die Idee, einen erfahrenen Vermittler einzusetzen. Die aktuellen Differenzen müssen im Interesse aller Beteiligten ohne Verzögerung überwunden werden. Klar ist, dass weder der Arzttarif noch die Medikamentenpreise bedeutende Kosteneinsparungen bringen werden. Denn eine gute Qualität der Behandlung soll angemessen entschädigt werden. Die Behandlungskosten machen aber nur einen Teil der Gesamtkosten aus. Der andere, grosse Teil der Gesundheitskosten sind Taggelder und Invalidenrenten.

Willi Morger Dr. iur. Willi Morger leitete als Mitglied der Geschäftsleitung der Suva das Departement Versicherungsleistungen und Rehabilitation bis Ende 2008. Verantwortlich für die Einführung des New Case Management. Die Universität Freiburg verlieh ihm die Ehrendoktorwürde für seine Pionierrolle in der beruflichen Wiedereingliederung von Unfallopfern.

Willi Morger Dr. iur. Willi Morger leitete als Mitglied der Geschäftsleitung der Suva das Departement Versicherungsleistungen und Rehabilitation bis Ende 2008. Verantwortlich für die Einführung des New Case Management. Die Universität Freiburg verlieh ihm die Ehrendoktorwürde für seine Pionierrolle in der beruflichen Wiedereingliederung von Unfallopfern.

Wollen wir das Gesundheitswesen nachhaltig optimieren, braucht es ein Organisationsmodell, das wesentlich bessere Resultate und milliardenschwere Einsparungen liefern kann. Das Gesamtsystem muss sich am Ergebnis und nicht bloss an den Kosten orientieren. Die Krankenversicherungen orientieren sich jedoch nicht am Ergebnis. Sie bezahlen die Behandlungen und die Medikamente. Ihr Ziel ist, diese Kosten zu senken. Es fehlt ihnen der Anreiz, die Patienten wieder an den Arbeitsplatz zurückzubringen, denn sie müssen nicht für Taggelder und Renten aufkommen. Die Taggeldversicherung ist freiwillig, und bei dauernder Arbeitsunfähigkeit bezahlt die Invalidenversicherung die Renten. Die Invalidenversicherung wird oft erst viel zu spät eingeschaltet. Ist eine Person mehrere Wochen krankheitshalber arbeitsunfähig, ist dies möglicherweise ein Zeichen, dass die Person auch in ihrem Umfeld Probleme hat. Zum Beispiel am Arbeitsplatz, in der Familie oder weil die Zusammenarbeit bei den Behandlungen nicht stimmt.

Erhält diese Patientin oder dieser Patient nicht bald Unterstützung, besteht das Risiko, dass sich das Leiden chronifiziert. Je länger eine Person arbeitsunfähig ist, desto schwieriger wird die Re-Integration in die Arbeitswelt.

Anders läuft es bei der Unfall- und bei der Militärversicherung. Diese Versicherungen müssen bei Arbeitsunfähigkeit sofort Taggelder und anschliessend allenfalls Invalidenrenten bezahlen. Sie haben darum alles Interesse, dass die Verunfallten so schnell wie möglich wieder am Arbeitsplatz sind. Deshalb stellen sie den Verunfallten schon in den ersten Wochen der Arbeitsunfähigkeit Fachpersonen zur Seite, die sie gegenüber den Ärzten, Arbeitgebern und der Familie unterstützen. Dank dieser Beratung, dem «Case Management», kann in vielen Fällen verhindert werden, dass das Leiden chronisch wird. Die betreuten Personen sind schneller wieder an der Arbeit. Die Suva konnte dank dem «Case Management» die Zahl der Invalidenrenten um mehr als die Hälfte reduzieren und so jährlich mehr als eine halbe Milliarde einsparen.

Warum übertragen wir das erfolgreiche System nicht auf die Krankenversicherer? Man braucht kein neues System zu erfinden. Unfallversicherung und Militärversicherung arbeiten nach dem bestmöglichen Modell, und dies mit beeindruckenden Resultaten. Dass deren Modell auf die Krankenversicherer zu übertragen wäre, könnte die Politik den Stimmbürgern mit guten Argumenten erklären.