Beim Attentat von Nizza mussten mindestens 84 Menschen sterben. Es war allein in Frankreich schon das dritte grössere Attentat seit 18 Monaten. Der Wochenkommentar.
Am Donnerstagabend nach der az-Leserwanderung sass ein Grüppchen von Teilnehmern am Rheinufer in Basel beisammen und kam auf den Terror zu sprechen. Wir freuten uns darüber, dass an der Fussball-EM in Frankreich nichts passiert ist. Und wir fragten uns, ob es vielleicht doch nicht derart viele schlummernde Terroristen gibt, wie man nach den Anschlägen von Paris und Brüssel befürchtet hatte – schliesslich ist seither nichts mehr passiert.
Etwa zur gleichen Zeit hob Frankreichs Präsident François Hollande den Notstand auf, der in Frankreich seit November gegolten hatte. Und etwa zur gleichen Zeit startete der 31-jährige Mohamed Lahouaiej Bouhlel, Franzose tunesischer Abstammung, in Nizza den Motor seines Mietlastwagens und setzte zu seiner mörderischen Fahrt an. Vorläufige Bilanz: 84 Tote und mehr als 200 Verletzte.
Der Terror hat einmal mehr bewiesen, dass er jederzeit und überall zuschlagen kann, dass er sich gegen jeden und jede richtet, gegen Männer, Frauen, Kinder, Babys, und dass er meist dann auftritt, wenn man am wenigsten damit rechnet. Nichts schürt mehr Angst, als wenn jeder weiss, dass es ihn jederzeit treffen kann, sofern er sich nicht in den eigenen vier Wänden verkriecht.
In Nizza schockiert zudem die neue Dimension der Brutalität: Der Massenmörder braucht keine Waffen – er rast einfach in einem Lastwagen lang über einen Boulevard, auf dem 30 000 Menschen flanieren, um sich das Feuerwerk anzuschauen – am 14 juillet, dem Nationalfeiertag Frankreichs, dem Tag der Freiheit. Das Simple dieser Tat macht fassungslos.
Wenn es sich beim Täter darüber hinaus um einen «einsamen Wolf» handelt, der bisher nicht durch extremistisches Gedankengut aufgefallen ist und die Tat unkoordiniert durchführt: Ja, wie sollen die Sicherheitsbehörden eine solche Person vorgängig aufspüren können? Soll man künftig jeden Mieter eines Lastwagens einer Sicherheitsprüfung unterziehen?
Wir dürfen bei Terrorattacken niemals abstumpfen. Gleichzeitig müssen wir uns daran gewöhnen, dass die Welt nicht mehr so sicher sein wird, wie sie es mal war – egal, mit wie viel Aufwand wir Terrorismus bekämpfen. Tod durch Terror wird zum Risiko wie Tod durch Flugzeugabsturz. Beides ist statistisch gesehen sehr unwahrscheinlich, beides löst trotzdem grosse Ängste aus.
Was aber läuft schief, dass überhaupt Menschen aus unserer Gesellschaft zu solchen Taten schreiten? Es sind ja keine Islamisten, die aus Syrien, Libyen, dem Irak oder von sonst wo zu uns kommen. Die heutigen Terroristen sind hier aufgewachsen. Doch sie haben alle Perspektiven verloren. Anders ist nicht zu erklären, warum sie bereit sind, ihr Leben zu opfern für eine sinnlose Tat.
Warum fehlt die soziale Kontrolle? Haben wir zu viele Menschen aus fremden Kulturen aufgenommen, zu wenig klar unsere Regeln durchgesetzt oder zu wenig für die Integration getan? Welche Bedeutung haben Erziehung und Bildung? Welche Folgen hat es, wenn Millionen junger Europäer keine Stelle haben und keine Aussicht darauf? Trägt unsere Gesellschaft eine Mitschuld, dass Menschen Opfer von Globalisierung und digitaler Revolution werden, keine Zukunftshoffnung haben und eines Tages das Umfeld zerstören, in dem sie aufgewachsen sind?
Terroristen werden immer einen Weg finden zu töten. Deshalb reicht es nicht, wenn wir alles tun, um sie zu bekämpfen. Wir müssen mit noch mehr Energie dafür sorgen, dass möglichst wenige dem Extremismus verfallen. Das kann nur gelingen, wenn jeder seinen Platz in der Gesellschaft findet – damit jeder die Freiheiten schätzen kann, die sie bietet.