Kommentar
«Was erlauben Deutschland?!»

Der Streit um die Corona-Milliarden spaltet Europa. Hier und da wird vom Ende der EU gewarnt. Man sollte einen Gang herunterschalten.

Remo Hess
Remo Hess
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Mittendrin in der Coronadebatte: die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Mittendrin in der Coronadebatte: die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Keystone

An Europa verzweifeln? Kein Problem. Schauen Sie sich mal diesen zerstrittenen Haufen an. Zuerst kaufen sie sich gegenseitig die Schutzmasken weg. Und jetzt zerfleischen sie sich öffentlich über die Corona-Milliarden. Wer es schon immer wusste, sieht sich bestätigt: Das Gerede von europäischer Solidarität ist bloss Heuchelei. Die EU ist und bleibt ein Schönwetterprojekt.

Ist es so? Sicher nicht. Man sollte es sich nicht zu leicht machen und auf die dumpfen Argumente der EU-Skeptiker hereinfallen. Es sind vergiftete Geschenke. In Wahrheit ist es wie immer kompliziert.

Das Coronavirus hat die EU als Ganzes befallen. In diesen Tagen will jeder Premier-, Finanz- und Gesundheitsminister der erste sein und sich gegenüber seinen Bürgern als Verteidiger des Vaterlandes inszenieren. Das macht die Lösungssuche auf europäischer Ebene umso schwieriger. Vor dem Video-Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag, wo über ein Billionen schweres post-Corona-Paket debattiert wird, präsentiert sich die Ausgangslage so:

In Italien regiert ein von Populisten und Medien getriebener Premier, der eigentlich kein Politiker, sondern Professor ist. Er kann nicht verstehen, dass die von ihm geforderten Eurobonds als gesamteuropäische Schulden politisch keine Chance haben. Stattdessen deckt er Deutschland mit Vorwürfen ein, es würde andere Länder wirtschaftlich ausbeuten. «Was erlauben Deutschland?», tönt es in freier Anlehnung an den legendären Bayern-Coach Giovanni Trappattoni.

Im zweiten Lager stehen Länder wie Frankreich, Spanien und Portugal. Sie treten weniger rabiat auf, fordern im Grunde aber auch einen Solidaritäts-Schub, der auf eine Lastenteilung und Finanztransfers hinausläuft. Ihre Schuldenstände kreisen schon heute um die 100 Prozentmarke ihrer Wirtschaftsleistung und werden wegen Corona nochmals steigen. Eine Rosskur wie nach der Finanzkrise wollen sie ihrem heimischen Publikum nicht mehr zumuten.

Auf der entgegengesetzten Seite haben sich die «geizigen Vier» eingegraben. Die Niederlande, Österreich, Dänemark und Finnland wollen nichts wissen von Schulden-Zusammenlegung. Jeder ist für sein eigenes Budget-Glück selbst verantwortlich. Zudem will man den Euroskeptikern zu Hause keine Argumente liefern, man würde den Südländern ihren vermeintlich verschwenderischen Lebensstil finanzieren.

Und dann wäre da Deutschland: Bundeskanzlerin Angela Merkel ist sich bewusst, dass es von ihrem Land jetzt ein Zeichen europäischer Solidarität bedarf. Anfang Woche hat sie deshalb die Türe einen Spalt weit aufgemacht. Trotzdem ist gerade in ihrer CDU-Partei die Ablehnung gegen geteilte Schulden gross. Und die deutschen Verfassungsrichter, pedantisch wie sie sind, pochen auf das Verbot von Schuldenzusammenlegung, wie es in Artikel 125 der EU-Verträge steht.

Auszuknobeln, wie dieser Strauss an diametralen Interessen unter einen Hut gebracht werden soll, dazu sind die Europäer jetzt verdammt. Die Herausforderungen der Corona-bedingten Wirtschaftskrise werden gewaltig und kaum von einem Land allein zu stemmen sein. Ob es etwas bringt, wenn nun etliche EU-Chefs ihre Position mit der Warnung vom Ende der EU unterstreichen, sei dahingestellt. Immerhin ist die EU in der Finanzkrise und der Flüchtlingskrise in den Augen mancher Beobachter und Kommentatoren schon viele Male untergegangen.

Was aber klar ist: Die reiche Schweiz kann sich einmal mehr glücklich wissen, nicht Teil dieser europäischen Zermarterung sein zu müssen. Sonst sähe man sich womöglich zu Positionsbezügen gezwungen, die auch an der hiesigen Nord-Süd-Achse und entlang des Röstigrabens für Spannungen sorgen dürften. Besserwisserische Ratschläge sind deshalb ebenso unnötig wie an Europa zu verzweifeln. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass ein paar verantwortungsbewusste Europäer am Schluss schon die Kohlen aus dem Feuer holen werden. Wie immer.