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Die moderne Demokratie wurde nicht in England und nicht in Frankreich geboren, sondern in den USA. 1787 wurde dort zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ein Staatswesen mit demokratischen Wahlen, friedlichen Machtwechseln, Meinungs- und Pressefreiheit und einer unabhängigen Justiz eingeführt. Die Frauen und die Sklaven waren davon ausgeschlossen, aber es war der Beginn eines unerhört erfolgreichen Systems. Die USA wurden das reichste, das innovativste und das politisch wichtigste Land der Welt. Die Strahlkraft ihrer Demokratie war enorm. Sie brachte Frieden, Freiheit und Wohlstand.
Umso schockierender ist es, dass diese Demokratie am 3. November erlöschen könnte – ohne Krieg, ohne Einwirkung von aussen, durch die Hand eines prinzipienlosen Präsidenten, gefolgt von ein paar rückgratlosen Senatoren, das ganze verkündet mit ein paar Tweets. Schon in den letzten vier Jahren hat Trump Pfeiler der Demokratie laufend ausgehöhlt. Die föderale Wahlkommission, die die Präsidentschaftswahlen überwachen soll, wurde seit 2015 nicht nachbesetzt und ist nicht funktionsfähig. Wo früher parlamentarische Gesetze nötig waren, wird jetzt wo immer möglich mit präsidentiellen Dekreten regiert. Für die Grenze nach Mexiko wird der Notstand erklärt, wodurch Milliarden aus dem Verteidigungsbudget für den Bau einer Mauer verwendet werden können, obwohl diese im Parlament nicht mehrheitsfähig ist. Den Medien wird pauschal jede Glaubwürdigkeit abgesprochen, unzählige Gesetze werden nur noch eingehalten, weil die Gerichte immer wieder Anweisungen der Regierung suspendiert haben.
So, wie die Strahlkraft dieser Demokratie die letzten 200 Jahre enorm war, so wäre auch die Auswirkung dieses Ausstiegs aus der Demokratie enorm. Möchtegern-Diktatoren rund um die Welt würden sich ermutigt fühlen, Verfassung und Gesetz noch mehr mit den Füssen zu treten als bisher, und sich zu Präsidenten, Ministerpräsidenten oder Diktatoren auf Lebzeit aufschwingen. Wo es keine Sanktionen – durch die Medien, durch die Justiz oder durch die Stimmbürger – gibt, gibt es auch keine Hemmungen. Und das gilt nicht nur für die USA, wo mit dem Gedanken gespielt wird, eine Wahlniederlage nicht zu akzeptieren (Trump). Anderswo spielt man mit dem Gedanken, wieder eine Militärdiktatur samt Folterknechten einzuführen (Bolsonaro); ändert kurzerhand die Verfassung in die gewünschte Richtung (Orban und Kaczinsky); sperrt Journalisten ein (Duterte); oder bricht soeben geschlossene internationale Verträge (Johnson).
Und so wird der kommende 3. November zum Schicksalstag nicht nur für die nächsten 4 Jahre in den USA, sondern für die Zukunft von Demokratie und Diktatur auf der Welt. Seit der grossen Finanzkrise 2008, in nur 12 Jahren, ist ein Drittel der Weltbevölkerung vom Demokratieabbau in vormals demokratischen Ländern wie Amerika, Indien, den Philippinen, Brasilien, Ungarn, Polen und Israel betroffen. Wer meint, dieser Abbau beschränke sich auf letztlich irrelevante Reformen der Justiz oder eine stärkere Kontrolle der Medien, der irrt. Dieser Abbau hat Millionen von Indern und Kaschmiri ihre Bürgerrechte gekostet, in den Philippinen Tausende ihr Leben. «So wie Hitler die Juden ermordet hat, würde ich gerne die 3 Millionen Drogenabhängigen in den Philippinen töten», meinte Präsident Duterte dazu. Staatschef Bolsonaro fördert die Brandrodung des Amazonas, deren Eindämmung in den letzten 20 Jahren einer der Erfolge der Umweltschutzbemühungen weltweit war. Und schliesslich sabotiert Trump alles, worauf sich die internationale Gemeinschaft nach zähesten Verhandlungen geeinigt hat, das Pariser Klimaschutzabkommen genauso wie die WHO, der er mitten in der Corona-Pandemie den Geldhahn zudreht.
Gewinnt Trump, oder schwingt er sich durch Missachtung der Verfassung zum Präsidenten auf, auch wenn er verliert, dann droht der weitere Abstieg der Demokratie weltweit. Verliert Trump und erweisen sich Verfassung und Institutionen der USA als stark genug, um trotz der Missachtung der Spielregeln durch Trump einen Regierungswechsel durchzusetzen, dann hat die Demokratie einen grossen Sieg errungen.
Andreas Zivy ist Stiftungsrat der Schweizer Demokratiestiftung