Hans Fahrländer zu einem von Populisten geschickt bewirtschafteten Generalverdacht.
Warum ist Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt worden? Weil die Elite, zu der auch seine Gegenspielerin Clinton gehört, die Nöte des Volkes nicht ernst nahm. Warum tritt Grossbritannien aus der EU aus? Weil die Elite, zu der die traditionellen Parteien gehören, die Nöte des Volkes nicht ernst nahm. Warum ist in der Schweiz die Masseneinwanderungsinitiative angenommen worden? Weil die Elite, zu der auch Bundesrat und Parlament gehören, die Nöte des Volkes nicht ernst nahm. Ein Gespenst geht um in der Schweiz und der Welt, es heisst Elite und es ist schuld an allem Übel. Gezielt oder aus Unwissenheit werden die unterschiedlichsten Begriffe gleichgesetzt und vermengt, Elite, Establishment (das Schimpfwort der 68er-Jugend), Intellektuelle, Classe politique. Elite als Totschlagargument, als Disqualifizierung, als Inbegriff dessen, was abgehoben unter sich bleibt und das echte, das wahre Volk vergisst.
Marine Le Pen, Frauke Petry, die britische Ukip, Donald Trump, alle wettern sie im Namen des wahren verkannten Volkes wider die Eliten. Interessant dabei: Viele der Wetterer gehören selber zur Elite, vermögen dies aber gegenüber dem kleinen Mann geschickt zu vertuschen. In der Schweiz marschieren in der ersten Frontlinie gegen die Eliten ein Altbundesrat, ein Hochschulprofessor und ein Verleger. Das Schimpfwort hat eine bemerkenswerte Wanderung von links nach rechts hinter sich. Für die Marxisten war der Sturz der Eliten die Voraussetzung für eine nivellierte (und damit gerechte) Gesellschaft, linke Bildungsmodelle setzten bis ins 21. Jahrhundert hinein auf Einheits- statt auf Eliteschulen. Als vor 10 Jahren der bürgerliche Bildungsdirektor Rainer Huber für den Kanton Aargau ein Elite-Gymnasium forderte, begann die Wanderung nach rechts: Nicht nur die Linke lehnte den Vorschlag entschieden ab, sondern auch die SVP; nur die Mitte war dafür. Wo kämen wir denn hin, wenn wir statt der Breite die Spitze, statt der bodenständigen Berufsbildung die abgehobenen Elitesöhnchen förderten? Zur Zeit der Aufklärung war der Begriff noch durchweg positiv besetzt: Im Gegensatz zu Adel und Klerus umfasste die Elite Menschen, die sich durch eigene Leistung hochgearbeitet hatten.
Natürlich gab und gibt es sie, die abgehobenen, arroganten Eliten, in der Politik, der Wirtschaft, in der Kultur (im Sport sind sie seltsamerweise kein Problem, sondern Idole). Sie vergessen, einmal aufgestiegen, woher sie gekommen sind und dass sie es eigentlich wären, welche die Gesellschaft voranbringen sollten. Schlimm indessen ist die Verallgemeinerung, die Formung des Wortes zu einem Kampfbegriff der Rechtspopulisten. Die da unten müssen denen da oben endlich sagen, wer Herr im Haus ist. Wer das Volk ist und dass es bedroht ist durch all die vielen Flüchtlinge und anderen Eindringlinge. Es gibt viel Wut da unten und sie ist teilweise berechtigt. Teilweise aber ist sie künstlich angestachelt durch Leute, die auf dem Fundament der Wuterzeugung ihre eigene politische Karriere bauen. Besonders in der bodenständigen Schweiz mit ihrem Milizsystem und den ausgeprägten Mitwirkungsinstrumenten ist die Mär von der abgehobene Elite nicht viel mehr als parteipolitische Kampfrhetorik.
«Elite» entstammt dem lateinischen Verb «eligere», auswählen. Wenn die Zeiten vorbei sind, da man von unten kritiklos auf die Auserwählten da oben und ihre Privilegien gestarrt hat – dann ist das ein gesellschaftlicher Fortschritt. Wenn aber Leute, die durch Fleiss und Leistung etwas erreicht haben, die mehr wissen und können als andere, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, wenn solche Leute generell niedergemacht werden – dann ist das ein gewaltiger gesellschaftlicher Rückschritt. Der «Vertrauensverlust» in die Politik und die Eliten ist zum Teil gerechtfertigt, zum Teil wird er aber auch gezielt bewirtschaftet. Wenn die frühere Verachtung der Schlechtergestellten umschlägt in eine angestachelte Verachtung der Aktiven und Erfolgreichen, dann haben wir heute ein Problem und morgen ein Riesenproblem. Vor allem «mehr wissen» scheint in der postfaktischen Zeit in Generalverdacht zu geraten. Wenn Eliten nur noch als korrumpiert, volksfern und egoistisch dargestellt werden, dann ist der Ruf nach einem starken Führer, der behauptet, er würde diesen Sumpf trockenlegen, nicht mehr fern. So gesehen haben wir allen Grund, die elitefeindlichen Strömungen diesseits und jenseits des Ozeans zu fürchten.
Hans Fahrländer arbeitete von 1979 bis 2015 in verschiedenen Funktionen für diese Zeitung, unter anderem als Chefredaktor. Heute kommentiert er das nationale und regionale Geschehen. Er ist Mitglied des Publizistischen Ausschusses der AZ Medien.