Analyse
Switzerland first? Vernünftig ist, was rentiert

Mit dem Rahmenabkommen ist kein Schönheitspreis zu gewinnen. Aber die Schweiz braucht den EU-Marktzugang. Eine Analyse.

Remo Hess aus Brüssel
Remo Hess aus Brüssel
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Die Bundesräte Cassis, Berset und Maurer bei einer Pressekonferenz zum Rahmenabkommen mit der EU.

Die Bundesräte Cassis, Berset und Maurer bei einer Pressekonferenz zum Rahmenabkommen mit der EU.

Keystone

«Aussenpolitik ist Innenpolitik» – es ist das Mantra des Bundesrats, das auch beim Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen letzte Woche gesungen wurde. Die Schweizer Aussenpolitik, so die Botschaft an die Brüsseler Gesandte, muss zuallererst im Inland akzeptiert sein. «Switzerland first», sozusagen.

Der Bundesrat hat recht. In welchem, wenn nicht im Interesse des Schweizer Volkes, soll er Aussenpolitik betreiben? Trotzdem könnte man bemerken: Eine erfolgreiche Aussenpolitik kann man schlecht ohne das Ausland machen. Anders ausgedrückt: Zur Aussenpolitik gehört, die Realität anzuerkennen, mit der man sich jenseits der Landesgrenzen konfrontiert sieht.

Eine dieser Realitäten sieht so aus: Die Europäische Union wird trotz interner Spannungen und Defiziten auf absehbare Zeit nicht verschwinden. Wer auf den baldigen Untergang wettet, dürfte seinen Einsatz verlieren. Statt Zerfall ist vielmehr das Gegenteil festzustellen. Vor unseren Augen wächst die EU jeden Tag ein Stück zusammen. Mal etwas schneller, mal etwas langsamer.

Aber im Wesentlichen gibt es nur eine Richtung: immer weiter. Am deutlichsten zeigt sich das im europäischen Binnenmarkt. Die Konsequenz ist, dass der Graben, zwischen jenen die dazugehören und jenen die draussen sind, immer tiefer wird. Als Katalysator beschleunigt der Brexit diese Entwicklung noch.

Eine erfolgreiche Aussenpolitik kann schlecht ohne das Ausland gemacht werden.

Die Schweiz steht also vor der Frage, wie sie sich mittelfristig mit der europäischen Einigung arrangieren will. Das institutionelle Rahmenabkommen ist die Antwort, die von der Politik darauf gefunden wurde. Es trägt der EU als juristischer und geopolitischer Konstante Rechnung.

Dabei ist offensichtlich, dass es sich nicht um ein Abkommen zur Sicherung des bilateralen Weges handelt, sondern um ein echtes Integrationsabkommen. Der Kern ist die dynamische Übernahme von EU-Recht und die Mechanismen zur Streitbeilegung. Flankierende Massnahmen, staatliche Beihilfen und der Streit um die Unionsbürgerrichtlinie sind bloss Nebenschauplätze.

Aus staatspolitischer Sicht kann einem die Rechtsübernahme tatsächlich Bauchschmerzen bereiten. Gesetze zu erlassen, bei denen man selbst nicht mitreden kann, ist für eine stolze Demokratie wie die Schweiz ein Problem. Hier muss allerdings gesagt sein: Schon heute übernehmen unsere Parlamentarier eine Vielzahl von EU-Gesetzen, ohne viel Aufheben zu machen.

Das liegt daran, dass die Rechtsharmonisierung mit der EU Sinn macht, den hiesigen Produzenten und Konsumenten das Leben erleichtert. Dass es im Streitfall keinen abschliessenden Schlichter gibt, fördert hingegen die Rechtsunsicherheit. Souveränitätspolitisch dürften der Schweizer Franken und die unabhängige Freihandelspolitik ohnehin grössere Wirkung entfalten als eine vermeintlich autarke Rechtsetzung.

Unbestritten ist, dass die Schweiz den EU-Marktzugang braucht und eher mehr, nicht weniger Integration. Ein Beispiel: Die Stromerzeugung der Zukunft wird dezentral organisiert sein, von einer Vielzahl an Stromproduzenten. Das grosse, rauchende Kraftwerk, welches die Verbraucher zentral mit Strom beliefert, gehört der Vergangenheit an. Dies spiegelt sich auch in der bundesrätlichen Energiestrategie 2050 wider.

Damit sie umgesetzt werden kann, muss die Schweiz in das Netz der europäischen Energieunion integriert werden. Und dazu braucht es ein Stromabkommen.

Es gibt auch den Plan B: ein «Schwexit», eine Abkehr von der EU und die allmähliche Entflechtung der Märkte. Vor dem Hintergrund linker Nullwachstums-Fantasien vielleicht nicht nur für Souveränisten eine bedenkenswerte Variante. In der Praxis heisst das aber: sinkende Einkommen und höhere Steuern.

Mit dem Rahmenabkommen ist kein Schönheitspreis zu gewinnen. Es bedeutet einen Transfer von Souveränität, der nicht durch den Erwerb von Mitspracherechten ausgeglichen wird. Solange die Schweiz nicht Mitglied im Club ist, muss sie wohl in der Halbwelt der zugewandten Orte verbleiben. Oder in Anlehnung an Max Frisch, Berufsvermesser der Schweizer Seele mit Hang zum Zynismus: «Vernünftig ist, was rentiert.»