Urania-Bunker, AJZ, Dynamo, Reitschule, Kiff und Rössli - es ist, als werde man alle zehn Jahre zurück geworfen in die gleiche Szene. Mobiliar, Geruch und Klang sind unverändert. Nur der Spiritus ist verflogen in den Pamphleten.
Wer im Lauf der Jahre durch alternative Milieus wandelte, hält irgendwann verblüfft inne: Ist da überhaupt Wandel? Denn so trat die «alternative Kultur» zu jeder Zeit an: mit dem Anspruch, Dinge von Grund auf zu verändern. Nach Ablauf von fünfzig Jahren «alternativer Kultur» aber drängt sich ein subversives Paradox auf: Im Grunde tritt die «alternative Kultur» an Ort, seit einem halben Jahrhundert.
Die Berner Reitschule brennt, zum wiederholten Mal. Die «alternative Szene» spielt mit Laser und Feuer, im Schutz, in unmittelbarer Nähe, auf dem Hintergrund der «alternativen Kultur». Oder vice versa. Die Genossen hüben und drüben sind nicht die gleichen, fürchten aber wie den Teufel das Schisma. Seit Cäsar operiert der Feind nach der Maxime «divide et impara», trenne und herrsche. Darum lassen sich «Schwarze Blöcke» so ungern von «Hausbesetzern» oder «Alternativen» trennen – wie Küken von der Glucke, wie Christoph Blocher von Albert Anker. Keine Szene ohne passenden Kulturdunst.
Auch Züri brannte. In den Achtzigern konnte man den Wochenkalender nach den Demos richten, die immer donnerstags Banken und McDonald’s versprayten und in sorglos parkierte Nobelkarossen ginggten. Zwölf Jahre zuvor flogen ebenfalls Steine und Baulatten, schoss die Polizei bereits mit Wasser, damals noch mit unpassender Mütze und Krawatte, beim Globus-Krawall. Über den Daumen gepeilt, flammte alle zehn Jahre Zoff auf. Vom stillen Ufer aus, wo die Boote ablegen und hinüberrudern zu Böcklins düsterschöner Insel, sehen – mit Blick auf drei Generationen «Revolte» – ihre Feuer aus wie Teelichter in Papierschiffchen. Kurzes lustiges Flackern auf dunklen Fluten. Es ist Wahnsinn oder schlicht Borniertheit, sich mit altbackenem Anarcho-Jargon dauernd neu im Glauben einzugraben, es gehe fürs auserwählte Volk der «Alternativen» darum, eigenen Raum zu erobern.
Als Schüler schlüpfte ich, nach dem Aufruhr beim Globus-Provisorium, durch die Stahltür im Zürcher Urania-Bunker, wo der betonierte Weg ständig abwärts führte. Ein bizarr weitläufiges Wabengehäuse, sauerstoffarm, laut und schummerig für den angeblich lichten Sommer aus Jugend, Sex und Blumen. An allen Wänden «alternative Kunst», «psychedelische» Tapeten, durchmischt mit Dogmen von Mao, Adorno und Marcuse. Am Papier konnte man noch den Spiritus erschnuppern, womit es vervielfältigt worden war im Matritzendrucker. Vermutlich hatte ein ängstlicher Stadtbeamter den Apparat eilends in jene Kleinbürgerhölle tragen müssen.
Zwölf Jahre später sassen wir schon selber in der Spiesserfalle einer ersten Ehe, freilich mit Döschwo und selbst gestricktem Pulli. Zu Hause in der Bauernscheune hockte Studentenpack im Kreis und übte die «Befreiung aus vorgefassten Genderrollen». Ein Besuch im Zürcher AJZ gehörte zum erweiterten Programm. Das Ambiente war noch deprimierender; kein Sommerstrahl drang durch. Es war Gift und Endzeit, süchtige Apokalypse. Beim Lauschen einer Vollversammlung, deren Semantik sich deckte mit dem Jargon vor Jahren, tippte ein Schulfreund auf meine Schulter: «Erinnert uns das an etwas?» Er lächelte, unklar ob herablassend oder fatalistisch.
Und weiter so durch die Jahre. Sei es das «Dynamo», die «Rote Fabrik», das Koch-Areal in Zürich, sei es das «KiFF» in Aarau, die «Kaserne» Basel, die Berner «Reitschule», das «Rössli» in Stäfa – überall drang Feuchtigkeit durch Ritzen, flockte Staub, war die rohe Matratze fleckig, wenn der nächtliche Labermarathon in einer Kapitulation endete, die auch Trümmersex diktierte, bei vollem Aschenbecher, die Seele pelzig wie das einzige Joghurt im sabbernden Kollektiv-Eisschrank. Wer diesem Film nie entkam, für den hat sich die Welt um kein Jota geändert.
Der Alternativ-Groove aber wird vom Mühlstein der Zeit unablässig chic gerieben, unter so manches Tempeldach der «etablierten Kultur» verschoben. Im Zürcher «Schiffbau», wo einst Putzfäden das Büezergwändli zierten, kann man an der Bar heute über Borsalino-Hüte parlieren mit Kulturkrösus Martin Suter. «Alternativ» ist kein Bonus mehr, war an sich nie von künstlerischem Wert gewesen – das muss man einfach sehen. Es gibt nur einen Weg für die Kunst, «alternativ» zu sein – nach oben. Die hohe Muse anzurufen. Das gelingt auch im Koch-Areal, in der Reitschule – keine Frage. Aber es ist nirgendwo garantiert zu holen. Also sinnlos, deswegen zu toben.