In seiner Replik auf den Gastkommentar zu Energiewende schreibt der Solothurner CVP-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt: «Es geht bei der Energiestrategie nicht darum, ob unsere heutige Situation ins Jahr 2050 übertragbar ist, sondern ob man sich auf den Weg machen will, unser heutiges Energiesystem umzubauen.»
Das Volk hat am 27. Mai 2017 mit relativ deutlichen 58,2 Prozent Ja gesagt zum neuen Energiegesetz, welches die erste Etappe der Energiestrategie 2050 darstellt. Das Volk hat Ja gesagt zur Förderung der erneuerbaren Energien, zu mehr Energieeffizienz, zum schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie.
Nun treten diejenigen Kreise, die sich seinerzeit gegen den dritten Punkt gewehrt haben – gegen den schrittweisen Atomausstieg – auf den Plan, um dem Volk vorzuwerfen, es sei auf «krasse Fehlinformationen» hereingefallen und habe gegen die physikalischen Gesetze und die richtigen ökonomischen Überlegungen entschieden.
ist Biologe, Nationalrat und Energiespezialist der CVP.
Das haben Bernd Schips, Silvio Borner, Emanuel Höhener und Markus Häring letzte Woche im Gastbeitrag «Wind- und Sonnenenergie reichen nicht» geschrieben. Dem Pamphlet der einstigen Gegner mangelt es an drei entscheidenden Punkten: Erstens an aktuellen Tatsachen, zweitens an der richtigen Fragestellung, drittens an der Konsequenz.
Zu den aktuellen Tatsachen: Die Autoren belehren uns, dass die Physik gegeben und Grössen wie die Leistungsdichte immer gleich berechnet würden. Selber Naturwissenschafter – genauso wie die Experten in den beauftragten Ämtern – bedanke ich mich für die Belehrung.
Noch lieber als diese hätte ich aber eine Berechnung gesehen, welche belegt, dass das Potenzial der Photovoltaik und der anderen Erneuerbaren nicht ausreicht, um unsere Stromversorgung nicht zu sichern. Potenzialstudien von Meteotest zeigen nämlich: Selbst nach Abzug von ungeeigneten und schützenswerten Dachflächen und unter Vernachlässigung der Fassaden kommt man immer noch auf ein Potenzial von knapp 25 TWh pro Jahr, also etwa jene Strommenge, welche derzeit die Kernkraft liefert – und zwar mit dem aktuellen Stand der Technik, nur durch die Photovoltaik auf den Dächern. Daneben gibt es noch andere Erneuerbare von der längst erprobten Biomasse bis zur noch zu erkundenden Geothermie und zusätzlich die Potenziale zur Energieeffizienz.
Und dank der rasend schnellen Entwicklung beispielsweise beim Power-to-Gas, bei den Batterien und bei den intelligenten Netzen zieht auch das Argument nicht, man könne diese Energie ja gar nicht zur gewünschten Zeit abrufen. Man kann – die Technologien dazu stehen heute schon bereit.
Zur richtigen Fragestellung: Die einstigen Gegner der Energiestrategie nehmen den heutigen Stand der technischen Entwicklung, den heutigen Energieverbrauch und die heutigen Infrastrukturen, um dann die Frage zu stellen: Geht das in der Zukunft auf? Natürlich geht es das nicht. Es geht bei der Energiestrategie aber auch nicht um die Frage, ob unsere heutige Situation ins Jahr 2050 übertragbar ist. Es geht um die Frage, ob man sich auf den Weg machen will, unser Energiesystem umzubauen. Das Volk hat entschieden, dass es dies will – da können jetzt noch so viele Berechnungen zu den aktuell verfügbaren Techniken folgen. Die Weichen wurden gestellt, und das ist richtig.
Damit bin ich nämlich beim dritten Punkt: der mangelnden Konsequenz. Wenn die Autoren der Meinung sind, die Weichenstellung sei falsch und die Schweiz werde deswegen in einen Stromengpass hineinlaufen, dann müssten sie ja konsequenterweise auch sagen, wie denn die Weichen besser zu stellen sind. Das wegen der hohen Leistungsdichte angepriesene Öl und Gas ist ein – erst noch endlicher – Klimaschädling. Bleibt also diejenige Energieform, auf die Borner und Kollegen hinauswollen: die Kernenergie.
Natürlich hätte das Volk auch sagen können, man wolle die Erneuerbaren und die Energieeffizienz jetzt nicht fördern, sondern auf den bestehenden Energiemix vertrauen. Bloss: die zum Teil schon arg ins Alter gekommenen AKWs werden nicht ewig laufen. Und auch das Vertrauen auf neue Atomreaktoren mit neuer Technik dürfte noch während langen Jahren auf eine Geduldsprobe gestellt werden: optimistisch angenommen fünf Jahre, bis ein Prototyp vorliegt, weitere zehn Jahre bis zur Marktreife, noch mal fünf Jahre, bis ein Standort in der Schweiz gefunden ist und dann noch zehn Jahre Bauzeit. Dann sind wir – bei sehr optimistischen Prognosen – bereits im Jahre 2048.
Das Schweizervolk hat diese Strategie verneint und die der Energiestrategie gewählt. In Analogie zu einer Bergtour könnte man sagen: Jetzt schon wieder umkehren zu wollen, ist, als ob ein Teil einer Seilschaft eine Viertelstunde nach dem Abmarsch von der Hörnlihütte plötzlich stehen bleibt, weil er nun doch nicht aufs Matterhorn steigen will (wie das vor einigen Tagen gemeinsam beschlossen wurde), sondern auf einen vermeintlich leichteren Gipfel.
Unter dem Strich hat das nichts mit einer Zukunftsstrategie zu tun, sondern mit Rechthaberei. Wir sollten aber nicht reden und recht haben, wir sollten tun. Nur recht haben zu wollen, reicht nicht.