Analyse
Putin und Erdogan werden den Europäern das Feld nicht überlassen

Nach der Libyen-Konferenz in Berlin schon von einer «Lösung» zu sprechen, ist zu früh. Und die Europäer werden den Konflikt wohl auch nicht beenden. Denn dafür müssten sie in Libyen präsent sein. Eine Analyse.

Remo Hess, Brüssel
Remo Hess, Brüssel
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Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan (l) und Russlands Präsident Wladimir Putin.

Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan (l) und Russlands Präsident Wladimir Putin.

Keystone

Endlich! – So könnte man meinen, haben es die Europäer gemerkt. Nachdem sie dem von ihnen mit-losgetretenen Krieg in Libyen neun Jahre lang tatenlos zugeschaut haben, melden sie sich zurück. Die Berlin-Konferenz unter Einbezug aller relevanten Akteure wurde weitherum als Erfolg gefeiert. Und auch die Politiker klopften sich gegenseitig auf die Schulter: «Ich spüre zum ersten Mal, dass die Europäer das Heft wieder in die Hand nehmen», sagt Frankreichs Aussenminister Jean-Yves le Drian. Und sein deutscher Amtskollege Heiko Maas weiss: «Wir haben uns den Schlüssel besorgt, mit dem wir den Libyen-Konflikt jetzt lösen können.»

Mit Verlaub: Das sind schönfärberische Worte, die mit der Realität wenig zu tun haben. Die in Berlin verabredete Waffenruhe und das seit 2011 geltende Waffenembargo sind kaum das Papier wert, auf dem sie geschrieben sind. Um das zu ändern, müssten sie nämlich durch einen militärischen Einsatz vor Ort durchgesetzt und kontrolliert werden. Ausführen könnten den nur die Europäer, weil sie als einzige keine Kriegspartei sind. Dass man sich auf dem alten Kontinent aber bald zu einer solchen Mission durchringen kann, zeichnet sich nicht ab. Dies, obwohl der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell aktiv für einen EU-Einsatz wirbt. Die europäischen Regierungen, allen voran Deutschland, können und wollen ihren Bevölkerungen nicht zumuten, für die Wahrung europäischer Interessen das Leben ihrer Soldaten aufs Spiel zu setzen.

Wenn man in Brüssel und Berlin trotzdem nun eine positive Dynamik für Libyen ausmacht, liegt das daran, dass man sich allzu schnell falschen Hoffnungen und Illusionen hingibt. Am schwersten wiegt wohl der Irrtum, dass «alle erkannt haben, dass es keine militärische Lösung gibt», wie es Heiko Maas beteuert. Das Beispiel Syrien zeigt, dass es für fast jeden noch so festgefahrenen Konflikt eine militärische Lösung geben kann. Russlands Präsident Putin weiss das nur zu gut.

Die zweite Illusion ist, dass Russland und die Türkei sich als vernünftige und verlässliche Partner zeigen werden. Nochmals ist es Syrien, welches den Weg weist: Wie viele Waffenruhen und Friedenszonen wurden schon international verabredet, ohne dass sich jemand daran gehalten hätte? Syrien beweist auch, dass es bewährte russische Politik ist, UN-Beschlüsse über gemeinsame Friedensmissionen konsequent zu blockieren.

Die EU sollte sich hier keine falschen Hoffnungen machen. Ein UN-Mandat für einen Libyen-Einsatz wird es so schnell nicht geben.

Ohnehin Putin und Erdogan: Wenn man Libyen durch ihre Augen betrachtet, fragt man sich, wo genau ihre Interessen liegen sollten, den Europäern jetzt zur Seite zu stehen? Für Putin ist Libyen ein schönes Spielfeld, wo er mit geringstem Aufwand maximalen Ertrag einfahren kann. Es reichen ein paar hundert Söldner, um den Lauf der Dinge in Europas südlicher Nachbarschaft nach seinem Gusto zu lenken. Man sollte nicht vergessen: Putins strategisches Ziel ist die Schwächung der EU und die Wiedererlangung des russischen Machtstatus.

Erdogan seinerseits hat das Wüstenland zum zweiten Pfeiler seiner Mittelmeerpolitik erkoren. In deren Rahmen will sich der türkische Präsident zum alleinigen Herrscher über die Migrationsströme nach Europa machen und die Schleusen nach Belieben öffnen und wieder schliessen können.

Wenn sich Putin und Erdogan in Berlin nun kompromisswillig zeigen, dann ist das bloss Teil der Inszenierung. «Unsere Politik muss sich bewusst werden, dass sie es hier mit Spielern zu tun hat, die nach anderen Regeln spielen», sagte Nahost-Experte Udo Steinbach dazu in einem Interview mit dem «Deutschlandfunk». Und Steinbach hat recht: Die Politiker sollten sich nicht nur auf das Tagesgeschehen konzentrieren, sondern längerfristig handeln und dabei die Interessen der Akteure in Libyen bedenken. Wenn die EU Mitspieler werden will, muss sie auf der Matte stehen und nicht bloss von der Seitenlinie zuschauen.