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Der Ruf nach einer Ausgangssperre, wie ihn drei unserer Nachbarländer kennen, wird auch hierzulande weiter. Braucht es das jetzt? Oder reicht die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger? Zwei Redaktoren kreuzen die Klingen.
Zuhause eingesperrt sein, auf Befehl des Bundesrats? Nur noch zum Einkaufen von Lebensmitteln und Medikamenten die Wohnung verlassen dürfen? Dieses Szenario ist eigentlich unvorstellbar. Im totalitären China vielleicht, aber bei uns? Nie!
So sicher ist das nicht mehr. Zwar hat sich das öffentliche Leben schon drastisch verändert, seit am Dienstag Geschäfte und Restaurants geschlossen bleiben müssen. Die meisten Leute halten sich an die Notstandsregeln. Aber eben nicht alle.
Man sieht Gruppen von Jugendlichen auf engstem Raum, auf Parkbänken und Seepromenaden. Auch ältere Menschen, die durch Corona speziell gefährdet sind, nehmen nicht alle ernst, was der Bundesrat sogar, wie in Kriegszeiten, stündlich via Radio verbreiten lässt: «Bleiben Sie zu Hause, insbesondere wenn Sie alt oder krank sind...»
Geht das so weiter, wird eine Ausgangssperre unumgänglich. Wie bereits in unseren Nachbarländern Italien, Frankreich und Österreich. Der Vorteil: Mit einer solchen Sperre wäre der Fall klar und alle Diskussionen beendet wie etwa: «Sollen wir mit den Kindern auf den Spielplatz?» Oder: «Sollen wir mit Freunden gemeinsam nachtessen?»
Bleiben alle für wenige Wochen zuhause, kann es keine Übertragungen des Virus mehr geben. Dann ist dieser Corona-Horror viel schneller vorbei als bei der aktuell vorherrschenden Zweideutigkeit. Die Zahlen werden sinken, die Spitäler entlastet, Zustände wie in Italien abgewendet.
Natürlich braucht der Bundesrat für eine Ausgangssperre, die faktisch auch ein Arbeitsverbot bedeuten würde, einen Plan - etwa für die Lebensmittelversorgung älterer Leute und zur Sicherstellung der Liquidität für Selbstständige und Betriebe. Aber die Wirtschaft ist ohnehin schon lahmgelegt, und zermürbend ist vor allem, dass keiner weiss für wie lange. Darum: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
«So was habe noch nie erlebt!» Es sind Worte, die man in diesen Tagen oft hört. Schulen und Geschäfte, die geschlossen sind. Medikamente, die rationiert sind. Teile der Armee, die mobilisiert sind. Abstimmungen, die abgesagt sind. Eine Justiz, die stillsteht. Das Undenkbare ist denkbar geworden: Selbst in der Schweiz wird der Ruf nach einer Ausgehsperre laut, um die Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen. Es geht um Menschenleben, da werden drastische Eingriffe in unsere Freiheit salonfähig.
Gewiss, es herrscht Notlage. Doch schauen wir genau hin. Das drakonische Durchgreifen des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron wird zum Vorbild. Wer zur Arbeit oder zum Einkaufen muss, der darf noch aus dem Haus. Aber er muss den Grund auf einem Papier festhalten. Und es drohen happige Bussen.
Im Ernst jetzt? Wir leben in einem Land, in dem die Eigenverantwortung hochgehalten wird. Wir sind in der Lage, die Empfehlungen der Behörden einzuhalten ohne dass man sich wie in einem Polizeistaat fühlen muss. Die Lernkurve der Schweizer Bevölkerung steigt. Nicht die staatlichen Massnahmen sind entscheidend, sondern das individuelle Verhalten. Eine klare Kommunikation der Behörden ist hier dienlich.
Eine konsequente Ausgangssperre würde faktisch zu einem Arbeitsverbot führen. Das ist wirtschaftlich nicht sinnvoll. Vor allem aber könnte es Probleme zu Hause geben. Man stelle sich vor, Familien die auf engem Raum leben müssen, die Existenzängste plagen. Die Rate von häuslicher Gewalt könnte massiv steigen. Und das ist dann gefährlicher und als nur Niedergeschlagenheit wegen Social Distancing.
Zudem: das Virus verschwindet selbst nach zwei Wochen totaler Quarantäne nicht. Es geht so einfach nicht aus der Welt. Denn es gibt immer noch Leute, die trotzdem arbeiten müssen, und auch in Spitälern kommt es zu Ansteckungen. Wir müssen daran arbeiten, die Ansteckungskurve flach zu halten, damit die Sterblichkeit nicht wegen Überlastung steigt. Und wir müssen testen, testen und nochmals testen. Und uns selbst disziplinieren, um die Ausgangssperre zu verhindern.